Zyankali für alle!

Tom Zyankali ist ein schräger Typ. Gleich beim ersten Blick muss ich zwei Mal hingucken: er hat lange Haare zum Zopf gebunden, einen optimistisch nach oben gezwirbelten Schnurbart und trägt eine Kettenhemd-Weste (!) auf nacktem Oberkörper über einer knielangen Aladinhose. Für die Zyankali-Bar, das weltweit einmalige „Institut für Unterhaltungschemie“ braucht man also keinen Laborkittel. Zumindest nicht bei 28°C. Und es werden auch keine Chemie-Kenntnisse abgefragt oder vorausgesetzt – sonst hätte ich den Besuch in der skurrilsten Bar Berlins wohl nicht überlebt.

zyankali-bar-eingangBereits 1991 hat der gelernte Chemotechniker Tom die Zyankali-Bar ins Leben gerufen. Schon während seiner Ausbildung jobbte er hinterm Tresen und ist dabei auf die geniale Idee mit dem „Institut für Unterhaltungschemie“ gekommen, das mit kultivierten Getränken zu bezahlbaren Preisen eine ganz bestimmte Art Leute anzieht. Uns zum Beispiel 😉 und andere alternative Freidenker, Yuppies hingegen sollten verschreckt werden das war Tom wichtig. Sympathisch! Abschreckend wirkt die Zyankali-Bar in der Gneisenaustraße 17, Ecke Solmsstraße in Kreuzberg bereits durch ihre grellgelbe Signalfarbe, in der die gesamte Außenfassade gestrichen ist. Damit ist sie aber auch todsicher nicht zu verfehlen.

Lasst Kräuter sprießen... die werden für die Aroma-Essenzen und Cocktails gebraucht.
Lasst Kräuter sprießen… die werden für die Aroma-Essenzen und Cocktails gebraucht.

 

Gegen 22 Uhr laufen wir dort ein und sind natürlich viel zu früh für Berlin. Das hat aber den entscheidenden Vorteil, dass ich in Ruhe das ungewöhnliche, makabre Interieur bewundern und fotografisch aufsaugen kann. Es ist schlichtweg genial und mit viel Liebe zum skurrilen oder gar morbiden Detail arrangiert! Ich habe seit der „Horor Bar“ in Cesky Krumlov, die es nun ja leider nicht mehr gibt, kein so interessantes Kneipchen mehr besucht. Frankensteins Labor trifft auf Krankenstation (es gibt einige Krankenbetten zum Sitzen) und Beinhaus – gespritzt mit schwärzestem Humor in Form von Sprüchen auf gelben Warnschildern. Tom sprüht offenbar vor Kreativität und das seit mittlerweile 23 Jahren. Die Deko und Einrichtung ist komplett selbst gemacht und finanziert. Ein Labor der Skurrilitäten von und für Freaks!

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sargtisch

Auf dem Weg zum Partykeller komme ich an einem Blumen-Automaten vorbei. Die Entdeckung der „Innereien“ des Blumenautomaten überlasse ich euch selbst. Blumen sind es nicht, näher hinschauen lohnt sich – um es mit Front242 auszudrücken: quite unusual! Unten im Keller finden regelmäßig Veranstaltungen in der Zyankali-Bar statt – ein schwarzes Partyloch zum Durchfeiern und Abtauchen.

cocktails-zyankali-bar-berlinIrgendwann habe ich mich bis zur Getränkekarte durchgekämpft, die konsequent ebenfalls in signalgelb gehalten ist und für deren mentale Erfassung meine volle Konzentration nötig ist. Eine Karte, die Respekt einflößt! Wilde, hauseigene Kreationen wie der Zyankali-Absinth (natürlich mit 66,6%) oder (harmlos süßer) Fake Caviar, der als Topping einige Drinks verziert. Essenzen aus selbst angebauten Kräutern in Likören oder Cocktail-Mixes, die man freundlich als abenteuerlich oder ernsthaft als absturzgefährdend bezeichnen könnte. Gin & Sin, Wodka, Whisky, Tequila in vielfältigen Ausprägungen. Alkohol zum Genießen und Entdecken, wobei auch der Thrill an der Sache kein bisschen zu kurz kommt. Und schon gar nicht der schwarze Humor, geschickt in die Drink-Namen eingewoben aka „Lady Die“ oder „Gurkula“. Dr. Tom ist für mich insgeheim schon der „Lord of the Drinks“, bevor wir überhaupt was probiert haben. Alle Drinks sind übrigens gegen einen Aufpreis von 1 Euro auch vegan erhältlich. *brav*

Drink hard! Vorn Moloko+, links Legend of the Fall und dahinter Beetlebum - stilvoll im Laborglas.
Drink hard! Vorn Moloko+, links Legend of the Fall und dahinter Beetlebum – stilvoll im Laborglas.

Ich bestelle einen „Legend Of The Fall“, mein Freund, das Milchmonster, nimmt „Moloko+“, Thorleif ein Radler und seine Freundin Jule testet „Bumblebee“. Zunächst landet eine Nierenschale mit Popcorn (salzig) auf dem Tisch, nach einer angemessenen Zubereitungszeit (ich tippe auf einen durchstandenen Verestherungsprozess) stehen 3 schräge Cocktails vor uns in Laborgläsern / Messbechern. Der Holunderbeeren-Caviar schwimmt obenauf bei Jules und meinem Drink, dafür enthält das dicke Moloko-Laborglas auch ein weißes Plastikmesser für die nächste Droogs-Aktion. Soweit kommt es zum Glück nicht. Es ist die stärkste und zugegeben bestschmeckende Milch, die ich je gekostet habe. War auch ziemlich schnell alle alles. Die experimentellen Drinks gehen echt prima rein – leckeeeer! Auch die Volumenformeln sitzen – oder anders gesagt: das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Zumindest bei den Getränken. Wer allerdings einen Musikwunsch äußern möchte, zahlt dafür unverschämte 50 Euro und bei Erfüllung einen ganzen Hunni! Tsssss… 😀 Bei uns lief glaube ich Bob Marley, also tat nicht so weh. Gruftie-Musik solltet ihr hier allerdings nicht erwarten.

Einen tierischen Schädel gibt es nur im Glas ;)
Einen tierischen Schädel gibt es nur im Glas 😉

Wer sich in der Zyankali-Bar mehrere Alkoholika zuführen möchte, kann/sollte sich zwischendurch für 8 Euro eine „Entspannungshilfe“ gönnen: eine Sauerstoffmaske, die innerhalb von 15 min alles wieder etwas frischer gestaltet in Geist und Körper. So fühlt sich auch der Kater am nächsten Tag gleich viel wohler.

Also einen Besuch hier werdet ihr garantiert nicht vergessen! Auch nicht, wenn ihr im halbwegs nüchternen Zustand wieder herauskommt. Optisch und getränkekulinarisch und atmosphärisch absolut zu empfehlen! Wenn ich das nächste Mal in Berlin und hier bin, werde ich wohl mal einen dieser Absinth Cocktails oder einen „Zombie“ versuchen. Denn…

ghouls-just-wanna-have-fun

 

Linkör

Meinen ganz persönlichen Online-Marketing-Glückwunsch an Tom zur Reservierung der Domain www.zyankali.de (da war jemand wohl echt früh dran ;)). Hier könnt ihr euch vorab einen Eindruck verschaffen und hinterher Zyankali-Fanartikel mit lustigen Sprüchen oder den echten Zyankali-Absinth kaufen. Wer sich traut.

Ein interessantes, nicht jugendfreies Interview mit Tom findet ihr übrigens bei den trinkwelten.de

Wer Fan werden will, kann das auf Facebook tun bei www.facebook.com/Zyankalibar.

 

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6 Kommentare zu „Zyankali für alle!“

  1. Pingback: 10 tolle Reiseblogs, die auch 2019 extreme Reiselust auslösen - Reiseblog Mini Globetrotter

  2. Ich musste gerade herzlich darüber lachen, dass der erste Drink auf der Karte „Bitterfeld“ heißt. Allein dieser Name sagt schon so einiges aus 😉 Wird wohl Zeit, dass ich endlich wieder einmal nach Berlin komme!

  3. Sollte ich irgendwann mal wieder in Berlin sein, schaue ich mir die Bar evtl auch mal an. Ich trinke zwar keinen Alkohol aber da lohnt sich ja offenbar schon ein Besuch allein aus visuellen Gründen. 😉

    Dunkle Grüße! 🙂
    Melle

  4. …da kommt ja schon beim Lesen der Schwipps über mich 😀
    Delikat, delikat, klingt nach einem sehr artgerechten, alkoholischem Habitat für die genussverwöhnten Sinne (selbst Bob Marley kann der Sache da wohl keinen Abbruch tun).

  5. Whoa, in dem Laden bin ich 1997 mal ganz furchtbar abgestürzt. Wir hatten viel Spaß- und am nächsten Tag hatte ich den schlimmsten Kater meines Lebens. Den habe ich nie wieder toppen können!

    1. Hahaha, das kann ich mir so insgesamt in der Bar wirklich gut vorstellen. Wenn irgendwo abstürzen, dann gerne dort. Du hättest die Sauerstoffmaske zwischendurch aufziehen sollen… 😉 aber war vermutlich damals noch nicht „auf der Karte“…

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