Totengässi und Tschäggättä

Finsteres im Wallis

Bergvölker sind nie harmlos. Sicher liegt es an der Mystik der Berge, an den Legenden, die aufgrund der wechselhaften und oft nicht erklärbaren Naturgewalten und Phänomene entstehen. Bergdörfer können sich gut verstecken vor den neugierigen Blicken der Welt. Jahrhundertealte Traditionen überleben hier völlig unverändert, manch Seltsames bleibt unentdeckt. So auch im Wallis – einem der landschaftlich schönsten Kantone der Schweiz. Hier habe ich zwei äußerst sehenswerte Geheimtipps für Liebhaber von gruseligen Masken, Schädel und Gebein. Und wenn ihr schon mal in den Bergen seid, könntet ihr auch das Wanderbein schwingen. Der Gletscher ruft!

Das Beinhaus in Leuk

Viele Wege führen nach Italien. Ein besonders bezaubernder über Bern – Fribourg – Montreux am Genfer See – dann die A9 Richtung Sitten und über den atemberaubenden Simplon-Pass (problemlos mit dem Auto befahrbar im Sommer) am Grenzübergang Zwischbergen nach Italien. Von dort seid ihr in ca. 2 Stunden in Mailand. Ich finde es immer wieder unglaublich, wie schön die Schweiz ist. Diese Berge, diese Wälder, diese Wiesen! Ich bin jedesmal voll aus dem Häuschen.

Blick von Leuk auf diverse Bergriesen des Wallis

Auf dieser Route könnt ihr zwei Beinhäuser besuchen: in Leuk und in Naters. Eintritt kostenfrei. Das ist in der Schweiz ein großer Vorteil. 😉 In Naters bei Brig befindet sich der Karner (=Beinhaus) unter einer Kapelle und ihr könnt durch ein Gitter – vor Diebstahl geschützt – knapp 2.000 geschichtete Totenschädel betrachten. Insgesamt sollen in Naters 31.000 Schädel und Gebeine liegen. Man sieht da also nur die Spitze des Gebeinberges.

Der Weg war schon mal richtig… 😉
Wer ist die Mumie in der Leuker Stephanskirche?

Wesentlich interessanter ist das Beinhaus in Leuk. In Leuk steht ihr mit 20.000 Schädeln und diversen Oberschenkelknochen in einer andächtig gestalteten Kapelle. Die wir aber zunächst nicht fanden.Wir wussten nur, dass es bei der Stephanskirche sein muss – und parkten direkt am Leuker Friedhof. Dann liefen wir vom Friedhof über das „obere Totengässi“ in den Ort hinein. Wir besichtigten die Kirche – ganz nett, aber nirgends ein Hinweis auf das Beinhaus. Wir fanden einen kleinen Krypta-Raum vorn neben dem Altar. Dort waren mehrere Heiligenstatuen und sogar eine Mumie (?!) zu sehen. Aber wo waren die Knochen und Gebeine?? Menschen waren auch Mangelware, wir waren allein in der Kirche. Der Ort lag im Mittagsschlaf. Wir liefen außen herum und standen bald unterhalb der recht großen Kirche. Da entdeckte ich einen kleinen Weg, der auf eine schmucklose Rundbogentür zuführte. Das war „die Pforte“ zum Beinhaus! Oder zum „Beihüs“ – wie der Schweizer sagt.

Rundbogentür – schwarzer Pfeil – da ist der Eingang zum Beinhaus

Ich öffnete vorsichtig die Tür, trat ein und sah das hier:

Niiicht schlecht! Knapp 20m Schädelwand! Hat man sowas schon mal gesehen? Nein. Dann noch ein fetter Pfeiler – einer der Fundamentpfeiler der Kirche – bemalt mit zwei Totentänzen aus dem frühen 16. Jahrhundert. Dieses Beinhaus ist etwas ganz Besonderes. Vor allem weil man hier so „mittendrin“ ist. Wie in einem Zimmer, nur das die Wände eben nicht aus Stein oder Beton sind, sondern Augenhöhlen haben. Ab und zu schaut keck ein Oberschenkel hervor, als hätte ihn jemand ein Stück herausgezogen. Die Schädel sind sauber gestapelt bis unter die Deckenbalken.

Die Stephanskirche wurde ab 1480 in mehreren Etappen erbaut und 1497 beendet. Die Stiftungen für das Beinhaus begannen 1505/06. Grund war wie bei fast allen Beinhäusern zuwenig Platz auf dem Friedhof. Wenn nach 20 Jahren das Grab aufgelassen wurde, hat man den noch vorhandenen Schädel und die Oberschenkelknochen genommen und in das Beinhaus „auf heiligem Boden“ – hier unter der Kirche – bestattet. Der Rest verblieb im Grab, welches neu belegt werden konnte.

Es ist eher einem Zufall zu verdanken, dass das Beinhaus in Leuk heute wieder der Öffentlichkeit zugänglich ist. 1885 hatte der damalige Kirchenrat und die Behörde beschlossen, das Beinhaus zu schließen. Es wurde mit dünnen Wänden zugemauert. Erst 100 Jahre später – 1982 – hat man bei Restaurationsarbeiten in der Kirche das ursprüngliche Bodenniveau des Kirchenschiffes freigelegt und ist dabei auf die lärchene Bohlendecke des darunterliegenden Beinhauses gestoßen, was ja bis dato geschlossen, aber um einiges kleiner war als die freigelegte Bohlendecke. Die Neugier der Archäologen war geweckt: Was verbarg sich da noch unter dem Kirchenschiff? Also gingen sie nach unten und durchbrachen die dünne Rückwand eines dort eingebauten Wandschranks. Und da starrten ihnen jede Menge Totenschädel und davor Haufen von wirr durcheinander liegenden Gebeinen entgegen. Unter und zwischen den Knochen wie „begraben“ waren mehrere Statuen von Heiligen. Diese kann man heute oben in der Gruft neben dem Altar betrachten, wo wir zuerst auch diese Mumie gesehen hatten. Die insgesamt 26 Figuren waren aus noch ungeklärten Gründen unzeitgemäß geworden und so hatte man sie bei einer Renovierung der Kirche im Jahre 1863 zu den Gebeinen der Toten gelegt. Es gab damals die Sitte, nicht mehr genutzte Statuen von Heiligen pietätvoll zu bestatten. Ob das nun pietätvoll war in einem Berg von Gebeinen… aber immerhin löblich. Auf jeden Fall kann es sich durchaus lohnen, einem Schrank hinter die Rückwand zu schauen…

So aufgestapelt zu Schädelwänden bis unter die Decke sind die Totenschädel bereits seit dem 16. Jahrhundert – als Memento Mori. Auch die zwei Totentanzbilder – das Werk eines unbekannten, deutsch-schweizer Künstlers – gehen auf 1520-30 zurück. Die Überreste der Menschen hier sind also teilweise mehr als 500-600 Jahre alt. Irre! Auch wenn nichts künstlerisch arrangiert ist in diesem Beinhaus, so verfehlt die schiere Masse an Schädel und Gebein ihre Wirkung nicht. Irgendwie hätte ich nichts dagegen, wenn mein Schädel auch in einem Beinhaus enden würde… ich würde mich eh mal für meine Schädelform interessieren. Liebe Radiologen unter meinen Lesern – bitte meldet euch!

Wer mehr über die Geschichte des Leuker Beinhauses, seine Entdeckung und die Toten erfahren und in alten Bildern sehen möchte, lese diesen interessanten Artikel: Ein Raum mit Rätseln – Leuk und sein Beinhaus

Ein Besuch des Beinhaus in Leuk ist nur zur Sommerzeit möglich von 8-20 Uhr.

Wenn man aus dem Beinhaus tritt… hinter dir das Memento Mori, vor dir das süße Schweizer Leben!

Die Tschäggättä

Brauchtum ist etwas Feines, vor allem, wenn es gruselige Masken trägt. So wie die Tschäggättä zur Fastnachtszeit im wunderschönen Lötschental. Hier war ich im vergangenen September mit einer Freundin unterwegs zum Bergwandern. Das Lötschental liegt mit dem Auto von Leuk nur 30 Minuten entfernt. Bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels im Jahre 1913 und dem Bau der Straße in den 1950er Jahren war es nur schwer erreichbar. Durch Lawinenabgänge war es oft sogar komplett vom Rest der Welt abgeschnitten. So konnte sich das Lötschental, das auch „Tor zum Wallis“ genannt wird, viel von seinem ursprünglichen Charme bewahren. Heute ist es UNESCO-Weltkulturerbe und ein Abstecher zu den „Leetschär“ Orten Blatten, Wiler, Kippel und Ferden lohnt sich!

Kein Wunder, dass in solch einer Atmosphäre Mythen entstehen…

Ein Tal voller Sagen, Legenden und Mythen. Hier sind die Tschäggättä allgegenwärtig – zum Glück nicht nur zur Fasnacht. Ausgesprochen werden sie Tschaggättä – alle ä’s kurz und schnell im Stakkato. Mich erinnern diese wilden Gestalten mit ihren aus Arvenholz (Zirbelkiefer) geschnitzten Masken (Fastnachtslarven), dem zotteligen Schaffell und der Kuhglocke am Gürtel an den Krampus. Nur kommen sie eben erst im Februar dran und es sind keine Teufel, sondern eher Dämonen und fratzenartige Waldgeister würde ich sagen. 😀

Die Tradition der „Tschäggättä“ gilt als die wohl älteste und bekannteste Maskentradition der Schweiz. Die Tschäggättä treten in der Zeit zwischen dem katholischen Feiertag „Maria Lichtmess“ (2. Februar) und dem Faschingsdienstag auf. Jeden Abend (außer sonntags) streifen sie nach Feierabend durch das Tal und jagen jedem, der sich noch zu dieser Zeit auf den Straßen befindet, einen gehörigen Schrecken ein. Wen die wilden Tschäggättä erwischen, der wird umgeschubst oder mit Schnee eingerieben. Traditionell stellten sie dabei lieber den Frauen und Kindern nach, denn als Tschäggättä durften nur ledige Jungmänner unterwegs sein. Auch waren sie früher noch recht grob und man konnte froh sein, ihnen nicht zu begegnen – das wurde uns von ehemals Ortsansässigen berichtet. Mittlerweile sind sie gemäßigter, vielleicht weil heute auch verheiratete Männer, Frauen und Kinder als Tschäggättä unterwegs sein dürfen. Jedenfalls sind die Tschäggättä die Attraktionen bei den Lötschentaler Fastnachtsumzügen, formieren sich aber nicht in Gruppen wie die Krampusse, sondern laufen einzeln. Das spiegelt auch das Wesen des einzelgängerischen Dämons vs. teuflischer Zusammenrottungen wieder. 😉

Im kleinen Örtchen Wiler hängen überall an den Häuserwänden schreckliche Tschäggättä-Masken. Manchmal nur ganz kleine, aber es gibt auch riesig große, die  furchteinflößend, abschreckend, verschroben und hässlich aussehen. Besonders bei der Nasengestaltung zeigen die Lötschentaler Larvenschnitzer viel Kreativität. Auch fiel mir das Stilelement der Asymmetrie auf. Bis zu 50 Stunden Arbeit stecken in einer Tschäggättä-Larve, für die man von 500 bis zu 2000 Franken zahlen kann. Seit den 1940ern wurden die Masken zum touristischen Souvenir, allerdings wird wieder verstärkt für den Eigengebrauch der Lötschentaler und den Maskenlauf geschnitzt.

Tschäggättäblut schmeckt!

Woher der Brauch mit den Masken kommt? Das wissen die Lötschentaler selbst nicht so genau. Es gibt nur Vermutungen. Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass die Tschäggättä einen heidnischen Hintergrund haben und so wie andere alpine Maskengestalten den Winter austreiben sollen – was ja auch gut mit Fastnacht zusammenpasst.

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Shan Tschäggättä Dark

Ihr wollt auch mal so eine Maske aufsetzen? Das geht im Lötschentaler Museum in Kippel – ich kann einen Besuch dort sehr empfehlen. Interessante Ausstellung über das Leben im Tal, supernettes Personal und man kann sich in eine Tschäggättä verwandeln. Die Larven sind – wie die Krampusmasken – mega schwer, dazu kommt noch das Fell, was auf ein Holzgestell gelegt wird, welches man sich auf den Rücken schnallt, so dass man massiver und breitschultriger erscheint. Unter der Maske bekam ich kaum Luft und sehen konnte ich nur etwas über die kleinen Mini-Löcher in den Augen. Lange aushalten würde ich es nicht und aktiv betätigen ginge gar nicht. Tja, Tschäggättä kannst net lernen, Tschägättä muss ma sein! :mrgreen:

Wildromantisch wandern

Wenn ihr schon mal hier seid, dann nutzt unbedingt die Gelegenheit für eine Wanderung hinauf zum Anungletscher. Dieser befindet sich am hinteren Ende des Lötschentals und von da oben habt ihr einen atemberaubenden Blick auf das Tal und das knapp 4.000m hohe Bietschhorn. Sensationell – besonders im September, wenn alles wild Farbe annimmt. An den Berghängen gibt es Heidel- und Preiselbeersträucher, die sich im Herbst rot färben. Schöner geht es nicht!

Die leckere Form von Cholera

Ich empfehle euch die Rundwanderung von der Fafleralp (oberhalb des Ortes Blatten) zur Anenhütte – einer autark funktionierenden Berghütte auf 2.358 m. Wir sind am „Hotel Fafleralp“ gestartet. Das Hotel hat ein sehr gutes Restaurant, wo ihr euch mit dem leckeren und raffinierten Essen namens „Cholera“ auf die 600 Höhenmeter Aufstieg bis zur Anenhütte vorbereiten könnt. 😆 Die Übernachtung im Hotel fand ich zu teuer für den gebotenen Standard und würde eher mit dem Zelt oder Wohnmobil auf dem Campingplatz Fafleralp direkt an der Postauto-Haltestelle nächtigen. Da seid ihr beim Aufwachen auch gleich in der Natur und habt schon den herrlichsten Blick auf die Berge.

Den Rundwanderweg geht ihr natürlich nicht wie alle nach rechts über den Grundsee und das Endmoränenfeld, sondern lauft links über die Guggistafel und den pittoresken Guggisee hoch zur Anenhütte. Dann ist der Aufstieg viel abwechslungsreicher, schöner und fällt deshalb nicht so schwer. Warum werdet ihr merken, wenn ihr den linken Weg beim Abstieg herunterkommt… Aber egal, ob links oder rechts – ihr habt immer 600 Höhenmeter zu überwinden, was wenig klingt, aber bei Flachland-Gruftis durchaus eine ungesunde, rötliche Gesichtsfarbe hervorruft.  😳 Aber die Wanderung und die Natur waren so schön, dass ich das glatt noch mal auf mich nehmen würde. Den Abend ließen wir dann bei traditionellem Raclette mit Tschäggättubluäd ausklingen… glücklich, geschafft und wildromantisch aufgetankt!

Der schöne Guggisee bietet sich für ein Päuschen an.
Ganz da oben ist der Gletscher – in der „Lötschenlücke“.
Blick von etwas unterhalb der Anenhütte auf das mächtige Lötschental
Der Fluss Lonza
Der Grundsee – seht ihr dann auf dem Rückweg 😉

Route planen ins Wallis – Beinhaus Leuk und Lötschental

Meine Empfehlung wäre entweder ein verlängertes Wochenende zum Bergwandern im Lötschental mit einem Besuch im Leuker Beinhaus zu verbinden ODER auf dem Weg nach oder von Italien ein paar Tage im Wallis zu verbringen.

Alles Wichtige auf einer Seite zum Ausdrucken:

+++ GOTHIC GUIDE WALLIS kostenlos hier herunterladen +++

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3 Kommentare zu „Totengässi und Tschäggättä“

  1. solitary_core

    „That is not dead which can eternal lie, and with strange aeons even death may die. “

    gerade bei den See-Bildern muss ich unweigerlich an die „Farbe aus dem All“ denken
    hab ihn zwar immernochnich gelesen … aber inzwischen Hörbücher gefunden auf yt, tolle umsetzungen auf deutsch und englisch (vor allem diejenige die auf alten Audiokassetten ).
    Lovecrafts persönliches Leben war ja auch recht zurückgezogen von daher macht das dann ja DOCH Sinn 😀

    kann nur zustimmen tolle Bilder, der Nebelhauch in den Bäumen beleuchtet von der Sonne im Hintergrund und der Grundsee mit dem ungewöhnlichen Anblick das man eben den Boden sehen wirkt eben surreal 😀

    liebe Grüsse

    ^^°,…,°^^

  2. Toller Reisebericht muß ich sagen. Das mit den Höhenmetern und Flachländern kann ich durchaus bestätigen.

    Sag mal, deine hier im Blog veröffentlichen Fotos machste selbst, oder? Ich finde nämlich, die sind zumeist sehr gelungen. Allerdings sind diese hier wirklich wundervoll. Obwohl, mir gefällt besonders das Schwarz-Weiß-Foto mit den 4 lustigen Gesellen. Großartig!!!

    Wie immer vielen Dank 🙂

    1. Danke Dir sehr, Ogami.
      Bin schon ganz schön ins Schwitzen gekommen, aber mag es auch mich da ab und zu mal auszupowern. Nur überschätzen sollte man sich nicht. Aber die Rundwanderung ist mit 4h angegeben, wir haben einiges länger gebraucht, ist aber locker und angenehm in einem halben Tag zu schaffen.
      Ja, die Fotos hier im Blog sind entweder von mir oder von meinem Freund gemacht – freut mich, dass sie dir gefallen! Bei den Gastartikeln sind sie i.d.R. vom Gastautor.

      Liebe Grusels
      Shan Dark

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