Es war einmal eine kleine Abiturientin, die das „Talentfach Kunsterziehung“ sehr mochte. Na gut, ersteres ist geschummelt, wirklich klein war ich nie. Aber das mit dem Kunstunterricht stimmt. Allerdings nicht wegen meiner gnadenlos guten Zeichenkünste, sondern weil ich dort besser war als in Musik und Sport zusammen. Und weil einem die Kunst immer Freiraum bot für Interpretation und andere Blickwinkel. Im Kunstunterricht nahmen wir natürlich auch alle Stile diverser Epochen durch und neben der düsteren Romantik (auf die der Lehrkörper leider bis auf C.D. Friedrich gar nicht groß einging) hatten es mir vor allem die Surrealisten angetan, ganz besonders Salvador Dalí. Wie skurril, genial, magisch, verdreht! Surrealistische Bilder eröffnen einem andere Welten, in die man wie durch ein Dimensionsloch gelangt. Man taucht in ein Kunstwerk hinein, legt alles bisher Gekannte und Verstandene ab – und kehrt irgendwann erfrischt an die Oberfläche der uns bekannten „irdischen Realität“ zurück. Man ordnet seine Sinne und ahnt etwas deutlicher als zuvor, dass es da auch noch etwas anderes gibt. Denn was jemand zeichnen kann, das kann auch existieren!
In meinen Leipziger Studienzeiten blieb ich dran – an den Surrealisten. Mein damaliger Freund hatte ähnliche Vorlieben und eröffnete mir neben René Magritte auch M.C. Escher. Auch wenn man letzteren nicht eindeutig in die surrealistische Schublade stecken konnte. Aber ist ja auch völlig egal. Escher faszinierte mich mit seinen Reptilien und Schlangen, seinen verwirrenden Treppen und optischen Täuschungen. Jedoch war mir seine Kunst ein wenig zu farblos und repetitiv, das gebe ich zu. Es musste zwar nicht gleich so farblich konturiert sein wie bei Magritte, aber nur so schwarz weiß und dann diese sich in verschiedenen Bildern wiederholenden Metamorphosen… Trotzdem mochte ich die Werke des Herrn Maurits Cornelis Escher (1898-1972), auch wenn sie mich damals noch nicht ganz erreichten. Aber mit Escher verband ich eine bestimmte Phase meines Lebens. Doch als diese Phase vorbei war schlummerten seine Kunstwerke lange in mir. Tief. Fest. Lange.
Fast 20 Jahre hatten M.C.Escher und ich keinen synaptischen Kontakt. Bis im Februar 2016 die schlummernden Reptilien und verstaubten Treppen wieder zu neuem Leben erwachten. Marcus Rietzsch gab den Impuls dafür: auf, auf in die Escher-Sonderausstellung nach Brühl ins Max Ernst Museum! Dort, wo einen Monat zuvor noch Tim Burton sein Unwesen getrieben hatte. Nach einer durchtanzten Walpurgisnacht an einem supersonnigen 1. Mai gab es also zwei Stunden von Mainz entfernt ein wenig Kunst. Sehr empfehlenswerte Kunst, möchte ich sagen, für alle, die gern zwei Mal hinschauen und sich nicht mit der Oberfläche zufrieden geben.
Wie sich doch der Mensch in 20 Jahren entwickelt! Ob vor oder zurück, das sei jetzt mal dahingestellt. Aber heute ist mir Escher’s grafische Kunst (Holzdrucke, Linolschnitte, Lithografien, Schabdrucke, auch Mezzotinto genannt – keine im klassischen Sinne gemalten Bilder) sehr viel näher und fasziniert mich mehr als früher. Habe ich gelernt besser hinzuschauen? Oder kann ich nur den Genius besser greifen zu dem ich selbst nicht fähig bin? Ich meine: eine Froschmumie zu zeichnen ist schon eine schwierige Übung, aber sie heraus zu schaben aus dem Dunkel einer Grundfläche? (=Mezzotinto) Oder ein Bild mit vier Perspektiven – man schaut in ein Gebäude hinein, heraus, von oben und von unten. Und diese Vierdimensionalität ist wahrnehmbar und zugleich verwirrend! (Andere Welt, 1947)
Ich kann es nicht lassen, ich muss mich einfach über all unsere unerschütterlichen Überzeugungen lustig machen. Es ist zum Beispiel ein großer Spaß, die Zwei- und die Dreidimensionalität, das Flache und das Räumliche miteinander zu vermischen oder mit der Schwerkraft Schabernack zu treiben.
M.C. Escher
Vielleicht habe ich in der Zwischenzeit auch Metamorphosen durchlaufen – innerlich, unbemerkt. Oder es ist dieses Endlich-mal-wieder-Kunst-Aufatmen im routinierten Alltag? Wie auch immer: Escher packt mich! Gleich eines der ersten Werke der Ausstellung zeigt seine erste Flächenfüllung „Acht Köpfe“ (Holzschnitt). Ich suche solange, bis ich sie alle entdeckt habe. Ihr könnt es mir gleich tun im Bild nebenan. Escher hat nur diese acht Köpfe geschaffen und sie dann ringsum im Bild vervielfältigt. Den Ansatz darf man aber nicht sehen. Für die Vervielfältigung seiner Werke und Kopien von Holzschnitten brauchte Escher viel Konzentration, Ruhe und einen Eierlöffel aus Gebein. Wie der allerdings eingesetzt wurde, wurde nirgends verraten. Sowohl der Band zur Ausstellung als auch der Film über M.C. Escher’s Leben und Schaffen, den man direkt am Eingang der Ausstellung sehen konnte, schwiegen sich dazu aus. Fokus, Talent und einen Eierlöffel aus Knochen – dann klappt die Sache!
Vielleicht strebe ich ja ausschließlich nach Verwunderung und versuche also auch, bei meinem Betrachter ausschließlich Verwunderung zu erwecken.
(M.C. Escher in einem Brief am 12. Okt 1956 an Bruno Ernst)
In seinen Werken scheint alles fortwährend in Bewegung zu sein. Eine etwas andere Interpretation von Unendlichkeit bezogen auf den Raum und von Ewigkeit bezogen auf die Zeit sind die vorherrschende Themen in seiner Kunst. Zudem findet alles in allem eine Fortsetzung, ist ein Kreislauf – vor allem in seinen flächenfüllenden, verdichteten Werken der Fall zu sein. Von „Tag und Nacht“, das sehr beliebt war, fertigte Escher an die 650 Kopien – mit dem beinernen Eierlöffel wohlgemerkt. 😉
Verwundert tauche ich aus vielen seiner Werke wieder auf. Verwundert bin ich aber auch, dass Escher einer der wenigen Künstler ist, die schon zu Lebzeiten erfolgreich sind. 30 Jahre nach seinem ersten Werk konnte er von seiner Kunst leben. Seine unmöglichen Konstruktionen von Treppen, Raum und Gebäuden hatten es den Menschen angetan. Ungewohnte Perspektiven – her mit mehr davon!
Die Wirklichkeit, die uns umgibt, die dreidimensionale Welt, die uns umringt, ist uns zu gewöhnlich, zu langweilig, zu alltäglich. Wir sehnen uns nach dem Un- oder Übernatürlichen, nach dem Irrationalen, dem Wunder. (M.C. Escher)
So isses! Und ich behaupte, M.C. Escher war skurril. Er zeichnete Fledermäuse, Dämonen, Froschmumien, Reptilien und Schlangen und ein Auge – in der Pupille der Tod. Das Memento Mori ist stets vor Augen. Sieh, dass du sterben wirst und musst, sei dir deines Todes bewusst und lebe danach! Das ist natürlich nur meine Interpretation.
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(Alle Fotos von M.C. Eschers Werken habe ich dem rechtmäßig erworbenen Band zur Ausstellung entnommen. Alle ausgestellten Werke und hier dargestellten Abbildungen sind im Besitz der M.C. Escher Company oder im Gemeentemuseum Den Haag.)
3 Kommentare zu „Metamorphose der Realität“
hm die Farben der Austellung mit NeonGrün und NeonPink … würde ja mal vermuten alles andere würde bei Escher’s kontrastreichen Werken untergehen, aber schon erstaunlich wozu der menschliche Geist in der Lage ist, vor allem wenn man sich noch vor Augen hält das das alles ohne Hilfe von Computer geschaffen wurde
Wenn man sich jetz vorstellt wieviel Spaß Escher mt Photoshop hätte 😀
Schöne Bilder in einem schönen Artikel!
Da ich es schon kaum in die Schirn schaffe, wird eine Reise nach Brühl tendenziell unrealistisch sein. Dann schon eher nach Fulda, wo es aktuell und bis Juli eine große Ausstellung mit Werken von Salvador Dali gibt:
http://www.museum-fulda.de/
Die Öffnungsszeiten sind allerdings nix für Nachtschattengewächse wie unsereins.
Vielen Dank für diesen heißen Tipp! Leider kann ich studienbedingt dieses Jahr wieder nicht am WGT teilnehmen :'(, aber das werde ich mir dann wohl doch einmal zu Gemüte führen. :’D