Roman lebt seit einiger Zeit in Hoboken (New Jersey, USA) und macht in seiner Freizeit als Urban Explorer die amerikanischen Lost Places unsicher. Jetzt bereichert er den schwarzen Planeten mit einem 2. eindrucksvollen Gastbeitrag. Ich kannte ja vorab nur die Kurzfassung seiner Begegnung mit der US-Staatsgewalt. Aber was er und seine Freunde mitmachen mussten, bloss weil sie aus Kameraobjektiven geschossen haben, das steht in keinem Verhältnis. Ich schwankte jedenfalls beim Lesen dieser wahren und sehr lebendig erzählten Story zwischen Entsetzen, Mitgefühl und Goth-sei-dank-sitz-ich-daheim-auf-der-Couch…
Ach übrigens… die faszinierenden Bilder im Beitrag sind alle vom Tatort (Bildrechte / copyright by Roman). Wenigstens gab es noch etwas „Ausbeute“ für den ganzen Ärger…
No Risk – No Fun?
Wie in meinem 1. Beitrag zur Faszination von Lost Places erwähnt, ist Urban Exploration nicht immer ohne Gefahren, was sicherlich sehr spannend sein kann. Ich möchte an dieser Stelle auch gar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger den Mahnapostel spielen, ich bin der Meinung, dass jeder selbst wissen muss, wie weit er gehen will und welchen Gefahren er sich aussetzen möchte.
Vielmehr will ich über die Problematik des Betretens privater Grundstücke sprechen, was ja nicht unbedingt legal ist. Dies trifft sowohl für Europa als auch die USA zu – allerdings wird in meiner alten Heimat meist nicht so viel Wert auf Bewachung etc. gelegt. So kann man tatsächlich in den allermeisten Fällen ohne große Angst erwischt zu werden in den alten Anlagen umherstreunen. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, so dass es auch hierzu die eine oder andere Anekdote gibt.
Hier in den USA sieht das wahrscheinlich aufgrund der Haftungsproblematik für die Besitzer etwas anders aus. In vielen Fällen sind die Anlagen nicht nur extrem gut verrammelt, sondern auch gut bewacht. Dies kann entweder durch sporadische Polizeipatrouillen geschehen, die meist aber nur außen vorbeifahren, oder auch durch private Sicherheitsdienste, die hin und wieder die Türen etc. kontrollieren. In manchen Gebäuden sind darüber hinaus sogar Bewegungsmelder installiert; es ist also Vorsicht geboten…
Um drohende Unannehmlichkeiten zu umgehen ist es hier wirklich unabdingbar im Vorfeld gute Recherchearbeit durchzuführen. Eine weitere Sicherheitsstrategie ist die Wahl der „Besuchszeit“. Besonders die sehr frühen Morgenstunden sind meist sicherer als der Rest des Tages. Der Fachbegriff hierzu heißt „Pre-dawning“ ;-).
Die gute Nachricht ist: Meistens geht’s gut. Meistens. Leider ist mir im Januar dieses Jahres das Glück zum ersten Mal nicht hold gewesen, und ich musste tatsächlich eine unangenehme Bekanntschaft mit der New Yorker Staatsgewalt machen.
Ich bin mit zwei Freunden an einem Samstagnachmittag in ein altes Getreidesilo eingestiegen, und wir haben uns dort ca. zwei Stunden umgesehen. Die Versuchung, dann auch noch auf das Dach zu klettern, war zu groß und wurde uns tatsächlich zum Verhängnis, da uns dabei das hiesige Wachpersonal gesehen haben muss. Eine halbe Stunde später – wir waren gerade wieder auf dem Weg in Richtung Ausgang und die rettende Realität – fuhren zwei Autos vor, das eine mit dem Hausherrn, das andere eine Bullenschleuder. Wir gingen erstmal in Deckung und haben uns überlegt, was wir nun machen sollten. Als dann der Besitzer rief, dass er wisse, dass wir dort drin seien und wir nicht auch noch Widerstand gegen die Staatsgewalt auf die Liste unserer Vergehen bringen sollten, haben wir uns zur Kapitulation entschieden und sind rausgestiefelt. Dort wurden wir dann auch gleich von den Gesetzeshütern in Empfang genommen, die versuchten dann zwar zugegebenermaßen netter Weise (das war das erste und einzige Mal, dass dies während unserer weiteren Geschichte passiert ist!) den Besitzer dazu zu bewegen, uns gegen Geldstrafe laufen zu lassen. Bzw. sie haben uns gefragt, warum wir nicht einfach drin geblieben sind, um die Sache auszusitzen (hinterher ist man immer schlauer!). Das hat aber alles nix genutzt, der Eigentümer blieb stur und wollte Anzeige wegen „Trespassing“ gegen uns erstatten.
Also ging es so weiter wie man das bisher nur aus dem Fernsehen gekannt hat: Handschellen, Taschen durchsuchen, ab auf die Rückbank und auf die Polizeistation. Dort hat man uns dann in eine Zelle gesteckt und erstmal dort herumsitzen lassen. Bereits nach gut drei Stunden wurde das obligatorische Häftlingsfoto geschossen und unsere Fingerabdrücke genommen. Willkommen im System!
Die ersten fünf Stunden vergingen recht schnell, und wir fanden die Erfahrung bis dahin noch recht abgefahren und cool und machten unsere Witze darüber. Mittlerweile war es dann aber auch schon fast Mitternacht, und man eröffnete uns, dass wir noch einem Richter vorgeführt werden müssten, dieser aber erst am nächsten Tag wieder im Dienst sei. Wir wurden für „die weitere Bearbeitung“ in die zentrale Sammelstelle („Central Booking“) gebracht. Dort kamen wir dann auch um halb eins nachts an, wurden dort wieder fotografiert, befragt und in eine weitere Sammelzelle mit mehr als 20 mehr oder weniger Kleinkriminellen gesteckt, die alle einen deutlich dunkleren Teint als wir hatten. An Schlaf war aufgrund des Platzmangels und Geräuschpegels nicht zu denken. Über die sanitären „Anlagen“ und die kulinarischen Angebote will ich gar nicht erst sprechen.
Am nächsten Morgen wurde dann ein wenig umsortiert zwischen den „Bodies“, wie wir verächtlich vom Personal bezeichnet wurden, und durften uns nochmals fünf Stunden in unserer Zelle ausruhen. Gegen Mittag wurden wir zusammen mit zehn anderen Jungs wie lebendige Anhänger alle an einer fünf Meter lange Kette befestigt und in eine andere Großraumzelle geführt. Dort trafen wir auf ein paar alte und neue Bekannte, die wie wir auf ihren Richterspruch warteten. Wir waren der Sache also etwas näher gekommen, der Gerichtssaal war nun in vermeintlicher Reichweite. Allerdings wurden nur die Anderen nacheinander in unendlich lang wirkenden Zeitabständen aufgerufen und abgefertigt…
Gegen Sonntag Abend waren wir immer noch dort und auf unsere Nachfragen hin wurde – wenn überhaupt – nur ignorant bemerkt, dass wohl unsere Unterlagen noch nicht komplett seien und wir somit den Richter noch nicht sehen könnten, der im Übrigen nun auch demnächst Feierabend haben würde. Also blieb alles beim Alten: „Begeben Sie sich ins Gefängnis – Begeben Sie sich direkt dorthin und gehen Sie nicht über Los!“ Diesmal in eine neue Sammelzelle, diesmal für ca. drei Stunden. Als wir feststellten, dass der dort befindliche Night-Court uns auch nicht bearbeiten würde und wir ein paar Anrufe über den dortigen Münzfernsprecher getätigt hatten (uns war mittlerweile klar, dass wir es aus der Sache nicht mehr rechtzeitig bis zum Job am Montag Morgen schaffen würden und informierten entsprechend je nachdem unsere Chefs oder Familien), durften wir uns zusammen mit ein paar anderen „übrig Gebliebenen“ tatsächlich in einer anderen, etwas geräumigeren Zelle auf die dort befindlichen Matten legen und ein wenig schlafen… Nach gut vier Stunden war es aber mit der Ruhe vorbei: wir bekamen Nachschub in die Zelle geliefert, so dass dann gut 30 Mann irgendwie versuchten, es sich halbwegs bequem zu machen…soviel zum Thema Logis auf Staatskosten 😮 .
Am nächsten Morgen gegen acht ging es wieder in die vorherige Zelle und nach gut zwei Stunden durften wir – wir hatten schon fast nicht mehr dran geglaubt – tatsächlich mit unseren Pflichtverteidigern sprechen. Interessanter Weise erzählte jeder uns etwas anderes: „Du wirst einen weiteren Gerichtstermin bekommen“, „Du wirst eine Geldstrafe bekommen“ oder „Der Fall wird fallen gelassen“. Und dann endlich nach 42 Stunden ungewaschener Agonie wurden wir dem Richter vorgeführt, der uns in gefühlten 42 Sekunden darüber belehrte, dass wir uns doch bitte für die nächsten sechs Monate anständig benehmen sollten und der Fall damit abgeschlossen und erledigt sei! Wow! 😯
Was bleibt ist der Vorsatz, tatsächlich die Sache mit dem Exploring für eine Weile etwas „genehmigter“ anzugehen – und eine tiefe Abneigung gegen die US-amerikanische Justizindustrie. Eine befreundete Richterin bestätigte mir, dass so etwas in Deutschland undenkbar wäre. Gut zu wissen. (Ja, bin auch grad erleichtert… – Anmerkung der Planetenkönigin ;-))
Ein schlechtes Gewissen habe ich zugegebener Maßen nicht. Mein Vorsatz ist: „Take nothing but pictures, leave nothing but footsteps“ und damit schlaf’ ich weiterhin sehr gut.
In diesem Sinne, bis bald – wir bleiben neugierig!
5 Kommentare zu „42 Stunden hinter Gittern“
Pingback: Spontis Wochenschau #11/2011
Zu Marcus:
[…]Es steht ja immer die Frage nach der Haftung im Falle eines Unfalls im Raum stehen.[…]
Das ist natürlich ein Argument, bei dem man nicht nachtragend sein sollte. Gerade bei alten Fabrikgeländen oder Stollen, die unbeeindruckt vor sich hin rotten, sind die Gefahr und die damit verbundene Haftungsfrage allgegenwärtig. Und ehrlich gesagt hätte ich dahingehend als Grundbesitzer auch wenig Freude daran, Mitschuld zu sein, nur weil sich so einer nicht beherrschen konnte.
Am besten man macht das Hobby zum Beruf. Vielleicht kann man dann praktische Lehrgänge und Zertifikate als Höhlenforschen oder Industriekletterer von der Steuer absetzen 😉 Ich für meinen Teil werde ohnehin erst einmal im kleinen Rahmen agieren. Zumal mich der »Nervenkitzel des Verbotenen« ebenfalls kalt lässt. Wenn er nicht sogar als störender Stressmoment mitschwingt. Und auf dieses kann ich gerne verzichten.
Die Atmosphäre der Gebäude macht die Sache aus, nicht der Hintergedanke des Hausfriedensbruchs. Wer das als dominierenden Anreiz nimmt, sollte sich lieber ein anderes Hobby suchen.
[…]Wenn jeder Depp ohne großen Aufwand an eine Waffe kommt[…]
In der Tat. Diese Mentalität ist nicht das Resultat schlechter Filme, die angehende Cops in ihrer Kindheit sahen, sondern wirklich der beständigen Gefahr aufgrund der Leichtfertigkeit im Waffenhandel. Doch unabhängig nach der Frage bzgl. des Warum oder des Weshalb, ist es Fakt, dass man als dahingehend waffenloser Narr demselben Prozedere ausgesetzt ist, als wenn unter dem Sitz eine AK-47 schlummern wurde. Und da habe ich keinen Bock drauf.
Daher, Amerika ist ein schönes Land, mit vielen Plätzen für lohnende Jahre Fotosafari innerhalb der urbanen Wildnis, doch ohne mich. Dafür ist auch mein aktives Englisch ohnehin zu schwach und der Durchschnittsami zu fremdsprachenresistent.
Unglaublich Roman.
Aber in einem Land, in dem Guantanamo möglich ist, wundert mich eine solche Begebenheit auch nicht weiter, leider.
Ich habe auch etliche Jahre hier in Deutschland den ein oder anderen Lost-Place illegal betreten und sehe dies mittlerweile sehr zwiespältig. Sicher mache ich nichts kaputt, schieße nur meine Aufnahmen.
Wäre ich privater Grundstückseigentümer einer solchen Immobilie, möchte ich selbstverständlich auch keine ungebetenen Besucher auf meinem Grund und Boden, allein aus Haftungsgründen.
Etwas lockerer sehe ich es bei Eigentumsverhältnissen, bei denen eine öffentliche Einrichtung der Eigentümer ist (Bund, Bahn, usw.).
Trotzdem sind die Risiken beim Betreten erheblich. Ich selbst habe schon zwei mal unangenahme Erfahrungen mit scharfen Hunden gemacht. Nur durch Glück habe ich keine schweren Verletzungen davon getragen.
Ausserdem kann es auch einfach dumm laufen.
In Belgien haben wir ein verlassenes Schloss auf einem riesigen Waldgrundstück „besucht“ und sind dann wirklich zufällig auf das Wildgehege des privaten Eigentümers gestoßen. Insofern kann man sehr schnell in sehr unangenehme Situationen kommen, die sich aufgrund der Unkenntnis der Situation vor Ort nicht vorhersehen lassen.
Und in diesem Fall waren wir durch Patronenhülsen am Eingang zum Grundstück und Verbotsschildern sowie einschlägigen Berichten im Internet eindeutig gewarnt.
Wer weiß schon, wie ein Eigentümer in einer „Notwehrsituation“ (zumindest aus seiner verständlichen Sicht) reagiert.
Übrigens ist vor wenigen Tagen ein 16 Jahre alter Junge in Bad Schwalbach ums Leben gekommen, als er rund 25 Meter in die Tiefe stürzte. Er war in einer alten Fabrik unterwegs.
Ich habe mich mittlerweile fast ausschließlich auf Lost Places konzentriert, die ich mit Genehmigung betreten darf.
Der von Urb-Exern vielfach zitierte Nervenkitzel geht mir total ab. Mir ist die reale Wirklichkeit schon riskant genug 🙂
Ein interessantes Erlebnis. Es bestärkt mich in meiner Entscheidung, sich bei der Erforschung leerstehender Gebäude im Ausland zurückzuhalten. Die Vorstellung, auf eine evtl. härter reagierende Staatsmacht, die sich nicht in meiner Muttersprache ausdrückt, zu treffen, missfällt mir doch sehr. Nicht desto trotz bin ich zumindest in Belgien auch schon mit Herzklopfen, großen Augen und spannenden Gedanken an vergangene Zeiten durch Gebäude geschlichen.
@Guldhan:
„Vorteile hat natürlich derjenige, dessen Erscheinung derartig smart daherkommt, dass ihm die Grundbesitzer und Eigentümer ohne großes Debattieren die Türen öffnen.“
In vielen Fällen scheitert eine offiziell erlaubte Begehung weniger an der Erscheinung des interessierten Gebäudeerforschers, sondern vielmehr schon an dem Problem, den Eigentümer ausfindig zu machen. Der Eigentümer selbst hat aber auch in den wenigsten Fällen ein Interesse an einer Begehung. Es steht ja immer die Frage nach der Haftung im Falle eines Unfalls im Raum stehen.
„Szenen wie der, mit gezogener Waffe bestärkte, Aufruf zum Verlassen des Fahrzeuges, Beine breit und Hände auf die Motorhaube…aufgrund einer »lapidaren« Geschwindigkeitsübertretung -oder falschen Abbiegens- scheinen dort auch keine Seltenheit zu sein.“
Dass die US-Polizei hart und scheinbar überzogen reagiert – auch bei lächerlich kleinen Delikten – ist sicherlich ein hausgemachtes Problem. Wenn jeder Depp ohne großen Aufwand an eine Waffe kommt – weil dies nun einmal ein (bescheuertes) gesetzlich geregeltes Grundrecht ist – ist die Gefahr, bei einer Routinekontrolle erschossen zu werden, leider deutlich höher.
Dass die amerikanische Justiz bzw. die Staatgewalt zu unangebrachter Überreaktion neigt, wurde mir ja schon von vielen USA-Deutschland-Pendlern bestätigt. Szenen wie der, mit gezogener Waffe bestärkte, Aufruf zum Verlassen des Fahrzeuges, Beine breit und Hände auf die Motorhaube…aufgrund einer »lapidaren« Geschwindigkeitsübertretung -oder falschen Abbiegens- scheinen dort auch keine Seltenheit zu sein.
Jedenfalls ist diese beschriebene Mentalität ein weiter Punkt für mich, nie einen Fuß in dieses Land zu setzen. Zwar gibt es dort interessante Gebiete und gelegentlich nicht uninteressante Menschen, aber im Großen und Ganzen haben die für mich einen Schuss weg.
Aber dennoch, wenn man die Suche nach solchen Aufnahmen mit der Jagd nach Reliquien gleichsetzt, so scheinen wirklich nur der Wille zum Übertreten von Grenzen und das Bewusstsein für überschaubare Gefahren zu großen Erfolgen zu führen.
Jeder kann diesen Grad für sich selbst bestimmen. Auch wenn die Welt, die sich hinter der dreisteren Motivsuche eröffnet, um einiges reizvoller und unangetasteter sein kann. Vorteile hat natürlich derjenige, dessen Erscheinung derartig smart daherkommt, dass ihm die Grundbesitzer und Eigentümer ohne großes Debattieren die Türen öffnen.