Der Ruf der Finsternis – WGT 2019

Allen, die jetzt schmunzeln mussten bei der Überschrift – ging mir genauso. In einer diesjährigen mdr-Reportage hieß es nämlich:

„Jedes Jahr zu Pfingsten folgen mehr als 20.000 Menschen dem Ruf der Finsternis.“

Ich dachte mir: diese poetische Blüte des Lokaljournalismus hat mehr Beachtung verdient. 😆

Pfingsten lag dieses Jahr spät und schon fast in der Jahresmitte, da hatte der Ruf der Finsternis bei mir genügend Zeit zu wirken. 😉 So regte sich tatsächlich etwas Vorfreude, die ich von den letzten Jahren nicht mehr so kannte. Nach mittlerweile 18 WGTs ist das Festival für mich zwar eine feste Größe in der Jahresplanung, aber große Gefühle kommen nur noch selten auf – es sei denn bei musikalischen Höhepunkten auf Konzerten oder Parties. Positiv gesehen gehe ich also mit einer maximalen Entspannung in jedes Treffen-Abenteuer, negativ gesehen fühle ich eine gewisse Gleichgültigkeit. Sollte ich mich nicht eigentlich mega und wie verrückt aufs Wave-Gotik-Treffen freuen? Früher war das so, aber es gelingt mir nicht mehr.

Nach längerem Nachdenken über meine „WGT-Gefühlswelt und Einstellung“ bin ich zu dem Schluss gekommen, dass diese Entwicklung so in Ordnung ist. Denn ohne Erwartungen schütze ich mich vor Enttäuschungen und dem Druck, dass jedes Wave-Gotik-Treffen super „abliefern“, gar besser werden muss als die vorangegangenen Treffen. Das ist eh nicht mehr möglich. Ich hatte schon sooooo viele sensationelle Erlebnisse in Leipzig, die unwiederbringlich sind. Ich gehe durch diese Haltung auch während der Festivaltage mit den WGT-Karnevalisten entspannter um. Sie finanzieren ‚unsere Bands‘ mit, die wir sehen wollen und die vom einschmelzenden Szenekern nicht zu bezahlen wären. Und weil ich keine Highlights mehr erwarte, ist es umso schöner, wenn ich positiv überrascht werde. Mein Credo ist daher bei jedem WGT: entspannt und offen bleiben, Neues ausprobieren, dem Zufall eine Chance geben – bezüglich Bands, Parties, Locations und natürlich Menschen. 😀 Und tadaaaa, dieses 28. Wave-Gotik-Treffen war doch wieder wunderbar & hatte sogar Highlights. Und es warf Fragen auf → siehe Ende des Artikels.

Der schwarze Donnerstag

„Don’t eat and drive“

Cubagelibre – established 2019 by r@zorbla.de

Diesmal fuhren wir nach Leipzig zu viert im WGT-Mobil – die liebe Ariada Maledica war mit an Bord. Traditionell sorgte r@zorbla.de für die kulinarisch-musikalische Untermalung unseres WGT-Trips und so kamen wir in den Genuss von Cuba Libre im wackelpuddingartigen Aggregatzustand: CUBAGELIBRE. Leckerst! Die Rezeptur war so stark am Original orientiert wie der Alkoholgehalt, so dass wir sogar zu r@zorbla.des 70er Jahre-Dance-Mix – beginnend mit ABBA und gefolgt von den Bee Gees mit „Staying Alive“ – vollen Körpereinsatz zeigten im von der Karosserie vorgegebenen Rahmen. Trotz derartiger Stimuli brauchten wir 6 Stunden bis wir in Leipzig ankamen. Es lief sehr zäh auf den Straßen. Wir schafften es gerade noch so mit Einkaufen, nur unsere geliebten Ost-Brötchen und Ostblechkuchen gab es nicht mehr. Die Filiale unseres Lieblingsbäckers Schultz war der seelen- und geschmackslosen Aufbackstraße des neu umgestalteten ALDI gewichen. 🙁  Aber M.Synthetic suchte ihn in seiner kleinen Filiale im nahegelegenen Waldstraßenviertel heim und besorgte die Kuchen- und Brötchenration für uns am nächsten Tag. Denn ohne die geliebten Ost-Backwaren geht für uns kein WGT. Das ist mal Fakt!

Erschwerte Bedingungen

Das Jacken-Kunstwerk von Bea

Nach einem flotten Restaurantbesuch ging es ab auf die Parkschlösschenwiese zur Eröffnungstanznacht der blauen Stunde. Sehr schön war das wieder! Für mich ist das immer ein perfekter, entspannender Auftakt – bei guter Musik, gruftiger Atmosphäre und Wein all die lieben Menschen zu treffen, die man sonst das ganze Jahr nicht sieht. Oder auch neue Schwarzlichter kennenzulernen, wie z.B. Bea @spooky.oyster, die schon länger Planetenleserin und wie ich früher ein riesiger Type-O-Negative-Fan ist. Definitiv hatte sie die steilste, selbst bemalte Lederjacke des ganzen WGTs an. 😉 So nach und nach kamen alle Lieben zusammen, die weiter entfernt wohnen – die Wiedersehensfreude war groß und es war eine sehr lustige, gesprächige Runde. Die Nacht war zunächst angenehm und warm, kein Lüftchen wehte. Plötzlich fing es aber an mit ‚dröppeln‘, wie der Sachse sagt. Der Regen wurde immer intensiver und wuchs sich zu einem fetten Regenschauer aus. Aus sommerlichen Gründen hatten wir keinen Schirm dabei. Aber unsere Freunde Jule & Marcus hatten eine Picknickdecke mit, unter der wir fünf versuchten gleichzeitig Regenschutz und Spaß zu haben. Das ging! Apropos gehen: Als es wirklich richtig runtermachte, traten wir den Rückzug an und stellten fest, dass das Laufen zu fünft unter einer Decke doch mehr Übung erforderte als wir hatten. Spaß war aber noch vorhanden, auch wenn wir nass wurden. Wir liefen zu Marcus‘ Auto, dass in ganz anderer Richtung stand als ich geparkt hatte. Unterwegs trafen wir ein helles Tor, was den passenden Kontrast zur schwarzen Wandergruppe lieferte.

An Marcus‘ Auto angekommen, wurde erstmal Platz für uns im Auto gemacht:

Marcus zu r@zorbla.de: Warte mal schnell, ich muss das erst nach hinten schieben.
r@zorbla.de: Ok, ich warte schnell. 😉

Dann fuhren wir in Marcus‘ Auto ungewollt ausführlich 🙂 durch Leipzig-Markkleeberg und zu Ilse’s Paprika (Erika), um dort vor Regen geschützt den weiteren Abend zu bestreiten. Aber man ließ uns nicht herein mit unseren WGT-Karten. „Eintritt nur mit Bändchen.“ Ich fragte, was das soll. „So sind die Bedingungen. [ich guckte finster] So sind die Bedingungen“, wiederholte der Typ am Einlass. Wir hätten 6 € Eintritt zahlen können morgens um 2:30 Uhr, aber da wiederum sahen unsere Bedingungen vor, ungerechtfertigte Eintrittsgelder lieber in Flüssigkeiten zu investieren.

Die Drei von der Tankstelle

In der Moritzbastei (mB = Embeh) waren die Bedingungen WGT-besucherfreundlicher und wir durften mit unseren Karten rein. Donnerstags ist es hier noch nicht so voll. Die Cocktailbar Fuchsbau wirkte angenehm ausgestorben und nur wenige Minuten später hatte ich meinen geliebten Erdbeermojito in der Hand. Diesmal gab es im engen Keller hinter der Cocktailbar sogar noch einen vierten DJ, der Metal & Alternative auflegte. Es war beeindruckend zu beobachten, wie die Leute auf RATM „Killing in the name of“ abgingen. Lustig, dass das Stück auch heute noch die jungen Dinger so ergreift wie mich damals. Hier war jedenfalls die Musik noch am besten, also blieben wir in der Bar, guckten Leute und probierten Drinks, u.a. einen Shot aus Gin, dessen Name und Zusammensetzung ich nicht mehr erinnern kann. „Schmeckt geil!“ sagte die Barkeeperin mit einem antörnenden Billy-Idol-Oberlippen-Twist. Ja, schmeckte geil. Und läutete für uns den Absch(l)uss ein – um 4 Uhr traten wir den Rückzug an. Kräfte sammeln für die kommenden Tage.

Konzerte

Ich hab dieses Jahr zwölf Bands gesehen, aber nicht alle davon komplett. Erwähnen möchte ich nur eine Auswahl.

Krass war, dass diesmal so viele Bands parallel spielten. Ging es Euch auch so? Zeitgleich zu Nitzer Ebb am Samstag hätte ich mir zwei weitere Bands ansehen können, allen voran „die beste Fehlbuchung“ des 2019er WGT: Fehlfarben. Da hab ich wohl echt was verpasst, den Augen- und Ohrenzeugenberichten meiner Freunde nach zu urteilen. Am Sonntag spielten für mich sogar vier Bands fast zeitgleich: Rhys Fulber, The Cassandra Complex, Sono, Batushka.

M.Synthetic: Mist, morgen überschneidet sich Rhys Fulber mit Cassandra.
r@zorbla.de: Das klingt complex.

Das war die Jahre zuvor nie so schlimm. Überschneidungen gab es höchstens mal mit einer Band. Vielleicht sollte ich mir einen einseitigeren Musikgeschmack zulegen. 😉

Die fleischlose Alternative 😉

Den Freitag und Montag verbrachten wir entspannt, überschneidungsfrei und durchgehend im Volkspalast. Da es meine Lieblings-Konzertlocation ist, umso besser. Und dieses Jahr gab es sogar eine Alternative zum einzigsten Fress- und überteuerten Wurststand vorm Volkspalast: fleischlose afrikanische Küche. Ich testete die Kochbanane mit Erdnusssoße und Yamswurzeln – das war sehr lecker und sättigte gut. Hoffentlich sind die beiden nächstes Jahr auch wieder am Start!

Darkher

Ich kannte bisher nichts von Darkher und bekam auch nur wenig mit, weil ich mich mit einem Planetenleser aus Luxemburg zum Treffen verabredet hatte. Aber bei den vier Stücken, die ich hörte, zog sie mich gut hinein in ihre melancholisch-doomig-dronige Gitarrenklangwelt. Das schafft man bei mir nicht mehr so einfach, aber es lag auch an Jayn H.’s Stimme, die kräftig und zart zugleich sein kann und für mich nach den Wäldern Norwegens klingt.

Coph Nia

Die schwedische Dark Ambient/Cold Meat Band hatte ich zuletzt beim WGT 2007 im UT Connewitz gesehen – also vor 12 Jahren. Damals war Mikael Aldén als Kopf der Band noch „glatzhaarig“ und in Anzug aufgetreten, jetzt in der Volkspalast Kantine trug er einen blauen Iro und war legerer gekleidet. Etwas fehlte mir da optisch die Dignität, die Schwere und Würde im Ausdruck – das Lockere (auch in den Bewegungen) ging mit den getragenen Rhythmen optisch nicht so gut einher. Aber es war generell noch ein bisschen zu hell in der Kantine für DARK Ambient…

Musikalisch fand ich es wunderbar und bin Mikael wegen seiner tiefen Stimme fast so erlegen wie Milan Fras oder Pete Steele. Ich nahm ein Stück mit dem Handy auf (leider ist unsere Kamera kaputt) und es war wohl das längste des ganzen Sets (8 Minuten!) – und noch dazu eines, was sie seit 15 Jahren zum ersten Mal spielten: Hymn to Pan. Ich dachte, es hört nie auf, mein Arm faulte langsam vor sich hin und ich stieß verzweifelte Blicke aus. Ein Bekannter neben mir lachte und flüsterte: „Der hört erst auf, wenn Du auf STOP drückst.“ Und so war es auch! 🙂

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Bis auf zwei CDs gibt es nicht viel von Coph Nia in unserem Haushalt –  nach dem Konzert muss ich das allerdings noch mal hinterfragen und höre gerade beim Schreiben das düster-atmosphärische „Erotomechaniks“-Album. Äußerst zu empfehlen.

Camerata Mediolanense

Klassisch-folkloristisch, mit Opernstimmen und in 7-köpfiger Besetzung – die Italiener aus Mailand wissen, wie man Opulenz inszeniert. Hierzulande sind die Neoklassik-Urgesteine Camerata Mediolanense selten auf der Bühne zu sehen und noch nie zuvor im Volkspalast. Ob mit Trommeln und Männer-Sprechgesang oder Sopranstimmen zu Barockklängen – außergewöhnliche Klänge, bei der meine Gedanken auf Zeitreise gehen durch frühere Jahrhunderte. Ein gewaltiges, schönes Konzert.

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Nitzer Ebb

EBM = Nitzer Ebb. Da brauchte man bisher keinen Taschenrechner für. Seit diesem WGT-Auftritt geht die Gleichung allerdings nicht mehr richtig auf. Ich freute mich natürlich sehr, Douglas McCarthy und Bon Harris endlich mal wieder live zu sehen – zuletzt hatten wir sie bei ihrer Reunion-Tour 2006 drei Mal (!) gesehen, ein Konzert war damals geiler als das andere.

Der Opener „Come Alive“ war noch interessant und vielversprechend verfremdet mit technoiden Einflüssen, bis wir feststellten, dass sie einen uninspirierten Technobeat über jedes Stück legten, der sich ohne Pause durch das gesamte Set zog. Ich bin ja prinzipiell offen für technoide Spielereien, die Douglas z.B. im Projekt mit dem französischen Techno-Produzent Terence Fixmer ausprobiert. Aber hier waren Nitzer Ebb angesagt und da will ich harten EBM hören. Und zwar mit Ecken und Kanten, zu denen ich mich bewegen kann. Aber nix war’s, denn – wie mein Freund es ausdrückte – „die kantigen EBM-Strukturen und Sequenzen wurden in ein Technokorsett gepresst“, in dem sie völlig abgesoftet untergingen. Ich konnte auch gar nicht so drauf tanzen, denn immer, wenn im Stück normalerweise so eine „Ecke“ kam, wurde sie vom „Beatbrei“ (M.Synthetic) abgerundet. Puff! machte meine Energie, die ich in Vorfreude auf das Konzert angestaut hatte.

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Das einzige noch gute Stück war „Control“, das hat mir auch in der hier live gespielten Version gut gefallen. Optisch war es ganz nett, ich sehe Douglas McCarthy gern zu, er bewegt sich gut, hüpfte auch paar Mal auf und ab, manchmal kam auch Bon mit vor. Aber auch hier entschleunigte eine gewisse Altersgelassenheit die Performance. Schaut euch doch zum Vergleich mal diesen ↓ Konzertmitschnitt vom Mera Luna 2006 (da tanzen wir auch recht weit vorn mit) an. DAS sind Nitzer Ebb. Versteht ihr mich?

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Eigentlich hat in meinen Ohren keine der neuen Bands, die NEP meist nur kopieren (manche besser, andere schlechter) gegen das Original eine Chance. Gerade sind Nitzer Ebb aber selbst dabei, dieses musikalische Grundgesetz in mir zu demontieren. Die Zeiten, in denen man mit Techno etwas reißen oder neu verpacken konnte, sind vorbei. Das klingt nicht mehr innovativ, sondern einfach nur altbacken. Immerhin habe ich mir so mit dem WGT-Ticket das Nitzer Ebb Tour Ticket 2019 gespart. 😉

The Cassandra Complex

Da Rhys Fulber von Front Line Assembly leider eine Fehlentscheidung war (da kam live so gar nichts rüber), hüpften wir mit dem Auto schnell rüber ins Haus Leipzig zu The Cassandra Complex. Die Electro-Waver aus den 80ern sind jetzt zwar keine erklärte Lieblingsband von mir, aber sie haben einige super Stücke (alle gespielt) und Rodney Orpheus weiß, wie man sein Publikum in den Bann zieht, zumindest schafft er es bei mir immer. Ich schaue und höre ihm einfach gern zu, mag seine Stimme und meiner Meinung nach gibt es auch nur wenige Künstler, die ihm in punkto Sympathie das Wasser reichen können. Zwischendurch erzählte er immer mal ein paar Anekdötchen – bei The Cassandra Complex passt das, weil sie keine durchgeplante Show haben. So erfuhren wir, dass Rodney vor 3 Jahren eine heftige Erkrankung am Kehlkopf hatte und die Ärzte ihm sagten, er würde vermutlich nicht wieder sprechen, geschweige denn singen können. Sein Kommentar dazu war „Fuck the doctor!“ 😉

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Erstaunlich fand ich, dass er in Schlips und Anzug auftrat – und nicht wie sonst in Lederhose mit Shirt. Aber vielleicht hatte er danach noch einen wichtigen Termin…

Job Karma

Unser erster wichtiger Termin am Montag im Volkspalast waren Job Karma. Das polnische Industrial-Dark-Ambient-Projekt gehört (wie Rosa Crux) zu meinen Lieblingsentdeckungen, die ich auf einem WGT in der Vergangenheit machen durfte. Ich glaube, das war jetzt das dritte oder gar vierte Konzert von ihnen. Ich genieße es immer wieder, die in Klangteppiche verwobenen Dystopien auch noch in außergewöhnlichen Zeichnungen verfilmt zu betrachten. Ein fast komplettes Sinneserlebnis – fehlt nur noch der Geruch. Die drei hatten auch zwei Stücke einer neuen EP von 2018 auf Lager. Rundum war das wieder ein gelungenes, befriedigendes Konzert.

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Danach trafen wir Job Karma noch am Merchandise-Stand und konnten etwas plauschen. Ich erfuhr, dass der Oszillator – der antiquiert wirkende Kasten da links im Hintergrund – ein deutsches Original aus den 50er Jahren ist, nicht extra gepimpt oder so, sondern noch alles wie früher. Dieses Teil erzeugt spezielle Ton-Schwingungen, die man modulieren kann.

Ich fragte auch, wer die fantastischen Zeichnungen fertigt. Das Grafik-Mastermind ist der dritte Mann links neben der Bühne: Arkadiusz (Arek) Bagiński. Keiner hat dystopische, düstere Klänge je so gut dargestellt. Es wird nicht langweilig zuzuschauen.

Im Übrigen sind Job Karma auch die Gründer und Veranstalter des Wroclaw Industrial Festivals, das jährlich in Breslau im November stattfindet.

Inade

Guter Dark Ambient, auch live recht sehenswert. Das ist gar nicht so häufig, weil es den meisten Bands dieses düsteren Subgenres nicht gelingt, ihr Sujet auch optisch attraktiv zum Publikum zu transportieren. Meist sind da nur morphende oder sonstwie auf Kunst getrimmte Video-Projektionen und dazu Musiker, die an Tischen sitzen oder stehen und (vermutlich) Knöpfchen drehen. Die wenigsten schaffen es, dass man erleben kann, worin die Musikkunst besteht. Inade waren dahingehend ganz gut unterwegs, weil sie ab und zu echte Instrumente bedienten und somit ihre Sounds sichtbarer machten. Das ganze Konzert sah ich jedoch nicht, weil an dem Tag sooo viele liebe Bekannte und Freunde im Volkspalast waren, dass ich aus dem Treffen und Schwatzen gar nicht rauskam. Aber ich hab mal gehört, dass das WGT auch dafür da sein soll. 😛

Meta Meat

Wegen des Namens und der Genre-Kategorisierung „Tribal Industrial“, unter der ich mir nichts vorstellen konnte, wollte ich mir das mal zu Gehör führen. Die französische Band bestand aus zwei Typies. Ein Schlagzeuger, der um seinen Industrial zu produzieren die Percussions äußerst engagiert bearbeitete. Allerdings trug er einen langärmeligen Pullover und mir brach beim Zusehen ständig der Schweiß aus. Der andere, für die Performance zuständige Typ war als krasses Gegenteil nur mit einer Aladdin-Hose bekleidet. Bewegte sich interessant und schien völlig in ein imaginäres Bühnen-Ritual versunken. Ich glaube, er war spirituell erweitert. Musikalisch fand ich es ganz gut, auch wenn es nicht durchgehend stimmig war. Als er dann allerdings seine Stimme auspackte und zu singen versuchte, war ich raus – ging für mich gar nicht. Aber OK, Tribal Industrial – für Euch getestet. 😉

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Tangerine Dream

Am Pfingstmontag entdeckte ich eine absolut unterbelichtete Ecke in meiner Musikhistorie. Tangerine Dream waren mir bislang völlig unbekannt, nur den Namen hatte ich natürlich schon mal gehört, aber selbst der…

Ich zu r@zorblade: Meinst Du, das „Tangerine“ hat was mit Tanger in Marokko zu tun?
r@zorblade: Nee, eher nicht. Schlag mal unter Obst nach. 😀

Warten auf Tangerine Dream – man kam sich näher 😉

Ahaaaa, ein Mandarinen-Traum! Was wie ein leckeres Dessert klingt macht sich auch im Ohr sehr köstlich, wie ich feststellen durfte. Der Bandname ist angelehnt an die Textzeile „Tangerine Trees and Marmalade Skies“ aus dem Lied „Lucy in the Sky with Diamonds“ der Beatles. Und Tangerine Dream sind aus demselben Jahrzehnt wie die Beatles – muss man sich mal vorstellen! Sie wurden 1967 gegründet und ihr frühes Schaffen dem Krautrock-Genre zugeordnet. Wenn ich das Wort Krautrock höre, fühle ich mich ja gleich um 10 Jahre jünger, denn sowas gab es „zu meinen Zeiten“ schon nicht mehr.

Wenngleich innerhalb Deutschlands die Band Tangerine Dream mit ihrem Bekanntheitsgrad immer im Schatten von Kraftwerk steht, zählt sie weltweit neben beispielsweise den Scorpions zu den wenigen deutschen Supergruppen der Populärmusik, die internationale Anerkennung genießen. Mittlerweile betreiben sie ihr eigenes Musiklabel und eine eigene Musikagentur, was sie weitgehend unabhängig vom sogenannten Mainstream des Musikgeschäfts macht. (Wikipedia)

Abseits des Mainstreams ja, aber Tangerine Dream sind nicht gruftig oder jemals in schwarzen Gewässern geschippert. Aber sie haben mit ihrem scheinbar unerschöpflichen Gesamtwerk viele Musiker beeinflusst und zudem eine ganze Latte Soundtracks geschrieben, u.a. zum wunderbaren Fantasy-Film „Legende“.

Gründervater war der deutsche Komponist und Musiker Edgar Froese, der als Pionier der elektronischen Musik galt und 2015 verstarb. 16 Jahre lang war auch sein Sohn Jerome Froese Mitglied der Band. Mittlerweile wird Tangerine Dream auf Wunsch ihres Gründers und in seinem Sinne fortgeführt von Thorsten Quaeschning (Synthesizer, Piano, links auf der Bühne), Hoshiko Yamane (Violine, Cello) und Ulrich Schnauss (Synthesizer).

Bis zu diesem WGT-Abschlusskonzert hatte ich noch kein so richtiges Highlight gehabt. Bereits nach den ersten Stücken war mir aber glasklar, das ist es! Nicht die Bühnenperformance war das Beeindruckende, sondern die Sounds, dazu noch die gut abgestimmte, ausgefeilte Projektion und die sinfonisch-elektronischen Klänge, die sich unter der Kuppel des Volkspalasts wunderbar ausbreiten konnten. Das Konzert war angesetzt auf 2:15 Stunden, ich glaubte das nicht so recht. Schließlich ist das ja auch ein Kraftakt für die Musiker. Aber bei diesem Backprogramm – um sich die Diskografie von Tangerine Dream durchzulesen, sollte man besser einen Tag Urlaub nehmen – und den teils sehr langen Stücken (manche locker 15 Minuten) sind die 2 Stunden schnell erreicht. Sie spielten sogar noch länger, nämlich 2:45 Stunden, bis 0:30 Uhr. Ich stand die ganze Zeit wie hypnotisiert vor der Bühne und flog auf den ausgebreiteten Klangteppichen durch die Kuppelhalle. Voll gut!

Ich habe einen Video-Zusammenschnitt erstellt. ↓ Das 2. und 3. Stück passte genau zu den Wetterverhältnissen draußen, denn während des Konzerts zog ein heftiges Gewitter auf, was in der Folge sogar die Notstromversorgung und -beleuchtung in Leipzig-Stadt erforderte. Plötzlich gingen nämlich im Saal auch mal die Lichter kurz an, was wir uns nicht erklären konnten.

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Wenn man das Video so sieht, ist es vermutlich nicht nachvollziehbar, wie einen sowas drei Stunden lang fesseln kann. Aber wenn ihr in der Klangkulisse gestanden hättet so wie ich mittendrin… wäre es den elektronischen Genießern unter euch sicher auch so gegangen. Ich war jedenfalls nicht die Einzige. 😉

An dieser Stelle ein riesiges DANKE ans Veranstalter-Team für das Booking dieser Band!

Parties in neuen Locations

Dunkelromantische Tanznächte in der Heilandskirche

Oh mein Goth! Selbst in meinen gruftigsten Träumen hätte ich mir nicht träumen lassen, dass einmal Gothic-Veranstaltungen in einer (sogar noch in Betrieb befindlichen) Kirche stattfinden würden. Es war DIE Überraschung des WGT 2019 für mich. Die Kirche ist mir ja in meinen Leipziger Jahren stets entgangen, weil sie von hohen Bäumen und Wohnhäusern umrankt da so unprätentiös zwei Querstraßen vom Felsenkeller vor sich hin steht. Sie ist wirklich sehr schön, von außen wie innen. Bei der ersten Tanznacht am Freitag war die Hölle los 😈 und mächtiges Gedränge, denn jeder wollte sich das mal ansehen. Ich war gespannt, wie die das mit dem Alkohol da machen – ich meine, Alkoholausschank in einer Kirche?? Es gab tatsächlich eine mobile Bar im Kirchenschiff. Der Wein etwas überteuert, der Gin Tonic gut und preislich angemessen. Man zahlt halt das Ambiente mit. Einen guten Geber hat Gott gern – das hab ich mal auf einer Kirchenspenden-Box in Siebenbürgen gelesen. Für die Optik wurden die Gewölbe im Kirchenschiff mit stetig wechselnden Illuminationen bespielt – das sah toll aus. Die Tanzenden wirkten schon ein wenig klein im Gegensatz zu den riesigen Mauern. Selbst ich. 😉 Aber nun kann ich wenigstens sagen: Ich habe mal in einer Kirche getanzt. (darauf r@zorbla.de: „Ich habe in einer Kirche gesoffen, das reicht.“ 😎 )

Drei Abende lang konnte man sich von den Klängen des Dunkelromantischen DJ-Teams in den alten, gotischen Mauern der Heilandskirche verzaubern lassen. An den Seiten rieselte der Putz herab – zum Bass der Musik, die eigentlich gar nicht soooo laut war, aber vom hohen Klanggebäude des Kirchenschiffs verstärkt richtig Wumms hatte. Auch draußen war die Party akustisch gut nachverfolgbar. 😉 Danke, liebe Leipziger, für Eure Toleranz und Gastfreundschaft. Das war wundervoll!

Mörtelwerk

Noch ein Location-Neuzugang des diesjährigen WGTs. Fast am „Ende“ des Karl-Heine-Kanals liegt es, das Mörtelwerk – eigentlich mit einem nordischen oe/ö „Mørtelwerk“ geschrieben. Es ist ein Café/Bar in altem Backsteingemäuer mit einem zweiten, separaten Hinterhaus wie auf einem Hofgut – es gab somit zwei Häuser mit je einem Floor. Die direkte Zufahrtsstraße zum Mørtelwerk war allerdings aktuell gesperrt. So parkten wir ein ganzes Stück weg und alles endete in einem frühmorgendlichen Abenteuerspaziergang. Mit Pikes die Böschung runterrutschen und so Scherzchen. 🙄 Aber die Location hat sich gelohnt und die Atmo war außergewöhnlich gemütlich, besonders im hinteren Gebäude auf dem 80er Floor bei DJane Sheatle. Davor knisterte sogar ein Lagerfeuerchen für den ’smoked smell‘.

Spizz-Keller

Am Sonntag hatten wir uns das Spizz ausgeguckt. Nein, nicht zum Cocktail trinken – konnte man hier aber auch – sondern hier war „Black Celebration“ angesagt: 80s, 90s, Synth Pop und New Wave mit DJ A.L.E.X. und DJ ANDY. Ich kannte bis dato vom Spizz nur die dicht gedrängten Café-Tische, die oben am Marktplatz und im Barfußgässchen stehen. Aber unten im Keller ist ein recht großer Club mit gut belüfteter Tanzfläche, feinen Sitzgelegenheiten und ordentlichem Sound. Als wir kamen war das Publikum noch überschaubar, spärlich mit einigen Nicht-Schwarzen darunter und es liefen gute 80er. Dann wurde es mit Skinny Puppy, Anne Clark, Front 242, Love Is Colder Than Death („Wild World“) allmählich schwärzer und nun es gab kein Zurück mehr ins normale Musikprogramm. Das vergraulte sehr zu unserem Freudwesen die Normalo-Klientel. Das Beste war aber: die DJs ließen die Stücke gekonnt mit Übergängen auf die Tanzfläche gleiten – da lief Kraftwerk in Front 242 rein (wenn ich mich recht entsinne) usw.. Es waren zwar keine ausgefallenen Stücke, aber dafür bestens präsentiert. Die Party war  schweißtreibend und erfüllend 🙂 und ist definitiv etwas fürs nächste WGT.

Fragen

Viel besser als ein schwarzer Hals > ein Strumpfhosen-Tattoo

Zum Schluss noch eine Liste mit Fragen, die wir uns stellten – manche sind ohne Antworten geblieben. Ich freue mich über Eure Kommentare.

Warum hatten dieses Jahr so viele Besucher schwarz angemalte Hälse bis zum Unterkiefer?

Ist es ein Statement? Interpretationen würden mir da schon einfallen. 😛 Oder macht man hier eine Band oder eine Fantasy-Erscheinung nach? Oder hat einfach nur irgendjemand mal damit angefangen und alle machen es nach, weil es auffällt. Wie mit den Hörnern auf’m Kopp, von denen man mittlerweile eine ganze Viehherde zusammentreiben könnte…

Warum waren die Tickets 10 € teurer?

Gab ja gar kein Belantis dieses Jahr…  🙄 aber stattdessen eine Antwort von Cornelius Brach, dem WGT-Pressesprecher: der Strom ist teurer geworden und das Personal wird besser bezahlt – zumindest mal nach Mindestlohn. Das sind beides valide Gründe, wie ich finde.

Warum Leonardo Da Vinci – auf der Karte und auf dem Bändchen?

Leonardo is everywhere

Leonardo hat 2019 seinen 500. Todestag. Aber was das mit dem WGT zu tun hat? Sigmund Freud sagte einmal über Leonardo da Vinci:

„Er glich einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen noch alle schliefen.“

Hier könnte ich einen Bezug zu einigen Kreisen in der schwarzen Szene durchaus herstellen und auch zu ihren Ursprüngen. Es soll ja auch unter uns noch kritische Geister geben, die sich mit gesellschafts- und weltpolitischen, aber auch naturphilosophischen Themen beschäftigen und nicht alles so einfach hinnehmen, was vorgesetzt wird. In der Szene gab und gibt es genügend Suchende, so wie Leonardo da Vinci auch einer war, angetrieben von einen starken Drang nach Erkenntnis.

Alle meine Bändchen … seht ihr den Unterschied?

Warum steht nur noch die Abkürzung „WGT / Leipzig“ auf dem Bändchen – sonst war „Wave Gotik Treffen“ immer ausgeschrieben?

r@zorbla.de: Überall wird gespart. 😆 

Zugegeben: im direkten Bändchenvergleich (siehe Foto) habe ich festgestellt, dass hier schon das dritte Jahr gespart wird und wir das erst dieses Jahr bemerkt haben.

Warum spielten DAS ICH als ERSTE Band am Freitag abend?

Darüber unterhielten wir uns mit einem lieben Bekannten aus München. Augenscheinlicher kann einem der Zeitenwandel in der schwarzen Szene nicht vor Augen geführt werden. Waren DAS ICH bei früheren WGTs Headliner, sind sie jetzt nur noch Opener am ersten Festivaltag.  😐

Apropos: Warum waren die White Lies Mitternachtsspecial?

Es ist ja normal und auch gut so, dass nicht nur Düsteres beim WGT auftritt – aber die White Lies als Mitternachtsspecial, was aus meiner Sicht die Bühne ist für „sich um die Gothic Szene verdient gemachte Musiker“??? Hab ich nicht verstanden.

Wer kann Aussagen zu den WGT-Bedürfnisanstalten machen?

Von außen hui und innen? Ich war nicht drin. Der Herr r@zorbla.de meinte: „Also ich finde das Wort ‚Bedürfnisanstalt‘ für das eingeschränkte Angebot zu weit gefasst.“ Kann das irgendwer bestätigen oder dementieren? :mrgreen:

Wie war euer WGT und was eure Highlights?

Naaa, könnt ihr euch noch erinnern? 🙂 Ich freue mich davon zu lesen.

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2 Kommentare zu „Der Ruf der Finsternis – WGT 2019“

  1. JEAN-MARC SCHMIDT

    Hallo. Vielen Dank, Dina, für diesen tollen Bericht über das WGT 2019, der mich dazu anregt, nun auch meinen Bericht zum diesem Festival beizusteuern. Ich bin übrigens der Luxemburger, den du in deinem Text erwähnst. Ich habe mehrere Konzerte in Leipzig besucht, unter anderem das von Darkher, einer Sängerin, die mir imponiert hat (weil ich vom Temperament her ein sehr nordischer Typ bin). Davon abgesehen ist mir aufgefallen, dass viele Konzerte nicht eigentlich dem Gothic-Musikstil zuzuordnen waren, vieles klang eher nach NDW, aber das hat mich nicht gestört. Ich habe einen sehr positiven Eindruck von den jungen und weniger jungen Menschen, die ich bei diesem WGT (meinem ersten!) sozusagen “studieren” durfte. Das Heidnische Dorf hat mir am besten gefallen, leider war es nicht einfach, bei so vielen Menschen die beiden Personen zu finden, auf deren Einladung hin ich überhaupt nach Leipzig gekommen war, nämlich Dina und ihren Freund. Ohne diese beiden Menschen wäre ich auch nur “Zaungast” bei diesem WGT geblieben. Das musikalische Niveau bei allen Konzerten war durchaus respektabel, wobei die phänomenale Aufführung von Richard Wagners “Der Fliegende Holländer” in der Leipziger Oper jedoch alle anderen Musikveranstaltungen in den Schatten gestellt hat. Meine große Liebe ist eben die klassische Musik, und kein Pop- oder Rockkonzert hat mich je so ergriffen oder aufgewühlt wie (beispielsweise) eine Klaviersonate von Beethoven, eine Etude von Chopin oder eben eine Oper von Wagner. “Der fliegende Holländer” ist übrigens eine Oper, die perfekt zum WGT gepasst hat, weil sie schaurige Momente enthält, die jeden Dracula-Film zum Heimatfilm abstempeln. Ich war nicht nur wegen des WGT nach Leipzig gekommen. Als Klassik-Fan habe ich den Donnerstag vor Festival-Beginn dem größten Musiker aller Zeiten gewidmet: Johann Sebastian Bach (ich habe mich vier Stunden lang in der Thomaskirche aufgehalten). Da ich zum ersten Mal in Leipzig war, hat es mich besonders gefreut, Auerbachs Keller zu besuchen, der leider von Touristen überfüllt war. Am Sonntag fuhr ich dann nach Weimar. Ich muss gestehen, dass ich (obschon Germanist) noch nie zuvor in Weimar gewesen bin. Weimar ist (wie jeder weiß) das Mekka der deutschen Kultur, aber vor allem die Stadt, wo Deutschlands größter Dichter 57 Jahre seines Lebens verbracht hat. In Weimar ist dann auch (so kitschig das auch klingen mag…) “Goethes Geist in mich gefahren”. Seitdem beschäftige ich mich wieder intensiv mit diesem Menschen, den ich nie als “Olympier”, sondern als großen Lebenskünstler geliebt habe. [Jetzt das Wort zum Sonntag für Goethe-Fans] Für ihn war die Herausforderung, dem eigenen Leben Gestalt zu geben, die noch größere Herausforderung als diejenige, schöne Dichtwerke zu hinterlassen. Er weist uns mit seinem Leben auf Themen hin, über die jeder selbst nachdenken sollte. Zum Beispiel: Wie geht man mit dem vielen um, das einen umbrandet? Goethe war in dieser Hinsicht auch ein genialer Ignorant. Bei einem Menschen mit einem so weiten Horizont muss man sich das auf der Zunge zergehen lassen. Er nahm bewusst nur so viel auf, wie er auch verarbeiten konnte. Eine seiner Redewendungen war: Ich muss produktiv darauf antworten können. Das könnte für uns heute in der Informationsgesellschaft mit ihren Vernetzungen ein neues Ideal sein. Goethe hat ein Immunsystem gegen die Zumutungen entwickelt, die ihn erreicht haben. Wir brauchen schließlich auch ein kulturelles Immunsystem, um nicht zu kollabieren. Man wird genötigt, immer erreichbar zu sein und unablässig zu kommunizieren. Da braut sich wohl gerade eine anthropologische Revolution zusammen. Wer dann in den Lebensrhythmus Goethes eintaucht, muss ja den Eindruck haben, dass die Goethezeit eine Welt ist, die unendlich weit weg liegt. Und doch kann man mit einem Sprung in dieser Welt sein und ihre liebenswerten Züge schätzen. Und deshalb habe ich mir vorgenommen, nächstes Jahr eine etwas andere Reise nach Leipzig und Weimar zu machen als dieses Jahr. Ich werde ein Hotel in Weimar buchen und zweimal nach Leipzig kommen, um dort den WGT-Karneval mitzuverfolgen und mich (wenn beide damit einverstanden sind) zum MIttagessen mit Dina und ihrem Freund zu treffen. Und überhaupt: Goetheianer und Gothic: man kann beides gleichzeitig sein. Das Eine schließt das Andere nicht aus. In diesem Sinne bis bald! Jean-Marc

    1. Hallo Jean-Marc,
      lieben Dank für deinen Kommentar mit Eindrücken deines ersten WGT. Ach, Du bist also DER Luxemburger, den ich erwähne… 🙂 Hat es Dir denn gefallen – wie würdest du das formulieren? Mich hat es jedenfalls gefreut, dich dort getroffen zu haben. Goetheianer bist Du auf jeden Fall schon durch und durch – ich finde deinen Exkurs zu Goethe sehr interessant und hab ihn mit Interesse gelesen. Klar kann man zugleich auch Gothic sein. Viele Schwarzromantiker beschäftigen sich mit den großen Dichtern, Philosophen, Schriftstellern vergangener Zeiten sehr intensiv. Eine romantische Verbundenheit mit der Vergangenheit ist vielen eigen. Aber nicht allen, das sieht man sicher auch deutlich auf dem WGT – dafür gibt es zu viele Subgenres in der schwarzen Gemeinde.

      Ich möchte nur kurz anmerken, dass das Niveau der Bands und Genres mMn nicht mit Klassik vergleichbar ist, zumindest zum großen Teil nicht, auch vom Genre her nicht. Es gibt zwar Bands, insb. aus dem Neoklassik-/Ethereal-Bereich oder solchen, die beim WGT mit Orchesterbegleitung spielen (Ulver, Blixa Bargeld etc.), bei dem das musikalische Niveau auf der selben STufe steht. Allerdings ist es auch klar, dass für eine Opernaufführung mehr Bühne, Equipment, Vorbereitungszeit und Budget zur Verfügung steht als für jede einzelne Band beim WGT.

      „Goethe hat ein Immunsystem gegen die Zumutungen entwickelt, die ihn erreicht haben.“

      Eines beruhigt mich dann wieder: dass schon Goethe seine Zeit als angefüllt mit Zumutungen empfand, wo das doch aus unserer heutigen Sicht als „langsame Zeit“ gilt, bei der es gar nicht derartige Kommunikationswege gab, auf denen man wie heute mit Informationen zugeblasen wird und auch noch antworten soll. Mehr Ignoranz wäre wohl manchmal das richtige Werkzeug und für sich auch das richtige Maß finden, wie man nicht zu viel an Informationen und Eindrücken konsumiert. Für letzteres ist das Wave-Gotik-Treffen in jedem Fall ein richtig guter Übungsparcour.

      Liebe Grusels & bis zum nächsten Jahr
      Shan Dark

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