Die Skelette von Waldsassen

Ein Reisebericht von Marianne de Morangias

Deutschland hat einiges an morbiden Köstlichkeiten und eine ansehnliche Beinhaus-Tradition zu bieten. Während ich in den letzten Jahren meist in die Ferne schweifte, um Schädel und Gebein zu sehen, hat sich Marianne de Morangias aus meiner Heimat, dem Erzgebirge, nach Waldsassen in Ostbayern aufgemacht, das in der Oberpfalz an der tschechischen Grenze liegt. Die Inspiration dafür erhielt sie aus dem Buch „Im Reich der Toten“ von Paul Koudounaris. Die „heiligen Leiber“ in Waldsassen sind Skelette – in Christendeutsch: „Ganzkörper-Reliquien“ – frühchristlicher Märtyrer. Aber sie sind nicht das einzig Sehenswerte im Kloster Waldsassen…

Die heiligen Leiber von Waldsassen

Die Stiftsbasilika Waldsassen

Im Jahre 1133 siedelten die ersten Mönche des Zisterzienserordens in Waldsassen. In seiner bewegten Geschichte hat das Kloster Plünderungen, Auflösung und sogar Zerstörung erfahren müssen. Vielleicht wirkt das Kloster auch deswegen von außen ein wenig modern.

Da in der Stiftsbasilika, wo die „heiligen Leiber“ zu sehen sind, bei unserer Ankunft gerade eine Trauung stattfand, entschieden wir uns zuerst die Stiftsbibliothek zu besichtigen. Eine gute Entscheidung, denn die Bibliothek ist wirklich sehr sehenswert. Man erreicht sie im oberen Geschoss des Klosters über eine imposante Holztreppe. Da der Rest des Klosters sehr schlicht gehalten ist, erschlägt mich der Anblick der Treppe fast. Sie wirkt ein wenig wie ein Tor in eine andere Welt.

Die Bibliothek betritt man natürlich mit Pantoffeln. Beim Eintreten bzw. Reinrutschen 😀 fielen mir gleich die hölzernen Trägerfiguren auf, welche das zweite Geschoss an den fensterlosen Seiten tragen. Diese stellen die menschlichen Laster dar, wobei einige der Figuren aus verschiedenen Blickwinkeln ihre Wirkung auf den Betrachter ändern. Jeweils links und rechts von den Eingängen befinden sich Treppen. Diese können durch einen Drehmechanismus mit Bücherregalen verdeckt werden. Nur zu gerne hätte ich das mal ausprobiert, aber leider darf man die Treppen nicht betreten. Die Bücherregale sowie die Emporen sind mit vielseitigen und teilweise grotesken Schnitzereien verziert. Sie stellen u.a. die Elemente dar, zeigen Büsten großer Philosophen und geben Hinweise darauf, welche Themen die aufbewahrten Bücher behandeln. Im oberen Teil befinden sich u.a. die Bücher der Zisterzienserinnen und werden somit auch noch genutzt. Auch Bücher aus dem Originalbestand der Bibliothek befinden sich wieder in den Regalen. Allerdings nur ein Teil des einst zu Höchstzeiten 19.000 Bücher umfassenden Bestandes. Auch die Decke des Raumes ist reich verziert. Dominiert wird sie von vier großen Fresken von Karl Hofreiter, umrahmt von mehreren Bildnismedaillons lateinischer und griechischer Kirchenlehrer sowie mystisch, grotesken Stuckarbeiten. Da wir einfach in die Führung hineingeplatzt sind und somit nicht alles mitbekommen haben, entschieden wir uns dafür die komplette Führung noch einmal zu wiederholen. So konnte ich mich ausgiebig an den vielen kleinen Details satt sehen. Ein bisschen ist es wie ein 3D Wimmelbild, ständig entdeckte ich neue Figuren. Ich bin mir nicht sicher, ob man in diesem Raum überhaupt wirklich zum Lesen käme.

Altar in der Reliquiengruft

 

Die Basilika befand sich bei unserem Besuch im Mai 2017 leider noch in Restaurierung und somit konnten wir nur einen Teil der wunderbar verzierten und geschmückten Kirche betrachten. Auch von den 10 „heiligen Leibern“ waren nur vier zu sehen. Sie stammen ursprünglich aus den Katakomben von Rom. Nachdem man 1733 im Zuge des 600-Jährigen Gründungsjubiläums den Reliquienschrein des hl. Deodatus in einem Festumzug durch Waldsassen getragen hatte, beschloss man weitere heilige Leiber aus Rom zu holen. Bis dahin waren die Gebeine des hl. Deodatus die einzige Reliquie in Waldsassen.

In Gold eingeschlossene Reliquien zu jedem der heiligen Leiber

Die Märtyrer gelten bis heute als die besonderen Schutzpatrone der Kirche und der Stadt Waldsassen. Seit 1756 wird am ersten Sonntag im August das „heilige Leiber Fest“ gefeiert, mit einem Gottesdienst am Morgen und einer Reliquienandacht am Nachmittag. Zudem werden dann vier Wochen lang vier große Kalender-Reliquiare am Hochaltar der Basilika gezeigt. Das sind viele in einem Gefäß zusammengefasste kleine Reliquien (Knochen, Stoff oder Haar z.B.) die man normalerweise nicht besichtigen kann.

Die 10 “heiligen Leiber” sind in Glaskästen ausgestellt und leider kommt man nicht ganz nah ran, jedenfalls bei denen die für uns zugänglich waren. Fürs Fotografieren also am besten das große Zoom-Objektiv einpacken. 🙂 Bei manchen der Leiber steht ein Kelch mit getrocknetem Blut als Zeichen des erlittenen Martyriums, andere liegen in einer Art gläserenen Sarg, sind aber allesamt mit prächtigen Kostümen ausgestattet. Sie sind mit Gold-und Silberfäden, Perlen und falschen Edelsteinen verziert. So wirken sie irgendwie lebendig und erhaben. Dadurch vielleicht nicht so düster und gruselig aber man ist wirklich überwältigt von diesem Prunk. Eben etwas anders als in anderen Beinhäusern. Nicht nur die mit Goldstickereien und Edelsteinen verzierten Reliquien beeindrucken, es fallen auch die silbernen Altar- und Kanzelbeschläge der Basilika sehr ins Auge. Insgesamt wirkt die Basilika auch dadurch sehr hell, regelrecht freundlich. Für mich schon ein wenig zu freundlich, kann aber auch an den weiß eingekleideten Seitenaltären gelegen haben.

Mittlerweile sind alle Restaurierungsarbeiten in der Basilika beendet und ein zweiter ausgiebiger Besuch wird fällig. Um möglichst viel Zeit zum Erfassen dieser prächtigen Kirche zu haben ist es ratsam an einem Wochentag zu kommen. Der Eintritt in die Basilika ist kostenlos, die Bibliothek kostet 3,50€. Eintrittskarten können im Klosterlädchen erworben werden. In der Bibliothek darf man leider nicht fotografieren, aber vielleicht erhascht man einen unbeobachteten Moment zwischen den Führungen. Dafür kann man sich in der Basilika jedoch fotografisch etwas austoben.


1.000 Dank an Marianne de Morangias für diesen interessanten Reisetipp! Jetzt weiß ich, wo ich demnächst die tschechische Grenze überquere und was ich mir da unbedingt anschauen werde! 😆

Text + alle Bilder sind von Marianne – bitte Urheberrechte beachten. Keine Vervielfältigung oder Nutzung ohne vorherige Genehmigung.

 

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3 Kommentare zu „Die Skelette von Waldsassen“

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  2. Wie spannend! Hab von den Heiligen Leibern noch nie etwas gehört, die sind aber definitiv eine Reise wert. Auch das Buch ist notiert! Danke für die Inspiration, auch in Deutschland gibt’s tatsächlich einige Skurilitäten zu sehen.

  3. Vielen Dank für den tollen und interessanten Artikel! Ich bin zwar auch schon öfter an Waldsassen vorbei gefahren, habe jedoch bis zu diesem Artikel nichts von diesen Reliquien gewusst. Somit habe ich auch gleich einen Ausflugstip und ein Ziel, sollte es sich mal wieder ergeben, dass wir ein wenig Zeit übrig haben.

    Ich habe übrigens den Artikel in meinem Forum „Dunkles Leben“ verlinkt.

    Das in der Einleitung erwähnte Buch steht auch in meinem Bücherschrank. Leider habe ich noch nicht die Zeit gefunden, es auch zu lesen.

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