Das faszinierendste Gothic-Ziel in Amsterdam liegt nicht auf der Straße, sondern erstreckt sich von ihr aus 26m in die Höhe. In der von Menschen durchfluteten Reguliersbreestraat wimmelt es von Menschen. Doch sobald ihr in diese einbiegt, schaut ihr besser anhaltend nach oben und nehmt kleinere Zusammenstöße mit genervten Passanten in Kauf. Nur so entdeckt ihr eine der letzten Kino-Kathedralen Europas: das bizarr-schöne Tuschinski Theater aus dem Jahre 1921. Bei dem Ausdruck Kino-Kathedrale fragte ich mich später genau wie beim ersten Anblick der Fassade: „Was? Ist? Das?“ Dann fiel mir erstmal die Kauleiste nach unten.
„Kino-Kathedrale“ rührt vermutlich nicht allein von der hohen, wunderschön im Stil von Neugotik und Art Decó gestalteten Außenfront her. Sondern weil man beim Eintritt ins Foyer des Tuschinski Theaters am liebsten ehrfürchtig hinknien möchte. Was für eine üppige Ausstattung mit bizarren Formen und warmen Farben! Es erinnerte mich an H.R. Gigers skurrile Phantasiefiguren, an fremde Welten. Zurück in der Realität erkannte ich, dass es Art Decó sein müsse, aber da war auch „noch was anderes mit drin“. Vielleicht die bei Wikipedia erwähnte Amsterdamer Schule oder Tuschinski Rokoko? Egal. Auf die dadurch erzeugte Atmosphäre kommt es ja an. Die stimmt und wird durch die insgesamt 1.600 gedämpften Lampen illuminativ unterstrichen. Schon das Foyer war großes Kino und ich hätte mich darin stundenlang aufhalten können – es wäre nicht langweilig geworden.
Die Angestellten im heute „Pathé“ genannten Tuschinski-Theater waren wohl sabbernde Touristen gewöhnt: auch ohne Ticket durften wir einen Blick in den wunderschönen „Grote Zaal“ riskieren. Danach war klar, dass das nicht genügte. Ich MUSSTE einfach einen Film in diesem Kino anschauen. Der herrliche „Große Saal“ hat 24 Logen mit Love Seats für Pärchen. Kann man aber sicher auch allein besetzen. Wir buchten das Wein-Arrangement für 17,50 Euro p.P. und zeigten unsere Karten am Buffet vor. Dort konnten wir den Wein und Knabbereien auswählen und wurden dann zu unserem Erstaunen „ohne alles“ in unsere Loge geschickt. Diese war ausgestattet mit Sichtschutz zur Nachbar-Loge (natürlich auch wieder voll im Art Decó Style), einem Paar-Kuschelsitz und einem Tischchen. Wie herrlich nostalgisch! Versunken in unsere Sitze atmeten wir die alte Zeit, bis es nach 5 min an unsere Logentür klopfte. Ein Kellner (!) servierte uns den Wein und die Snacks. Das hatte ich ja im Kino noch nie erlebt und werde es auch nie vergessen. Ein außergewöhnliches Filmerlebnis in einzigartiger Atmosphäre. Der Film („The Island“ in englisch mit niederländischen Untertiteln) war zweitrangig.
Swindleshock hat die Kino-Kathedrale von innen gefilmt:
Kanal-Thriller
Apropos: Zur Einstimmung auf einen Gothic-Trip nach Amsterdam empfehle ich „Verfluchtes Amsterdam“. Ein feiner Thriller aus den Achtzigern über einen fiesen Schlitzer, der in den Grachten sein Unwesen treibt. Danach seht ihr die Stadt, ihre Kanäle und Hausboote mit anderen Augen. Eine Kanal-(Grachten-)Rundfahrt solltet ihr trotzdem mitmachen. Ihr könnt nicht nur den Film besser nachempfinden, sondern habt eine ganz andere Perspektive auf die Stadt.
Gothic-Clubs in Amsterdam?
Das Korsakoff in der Lijnbaansgracht 161 ist ein (täglicher) Treffpunkt für Amsterdamer alternative Peoples – darunter auch Gothics. Es ist nicht sehr groß, schlauchförmig und an einer Seite ist eine langgezogene Bar. Der Schlauch endet mit der Tanzfläche. Das DJ-Pult befindet sich weit oben darüber und ist über eine ca. 4 m lange Leiter erreichbar. Wenn ihr Höhenangst habt und Euch beim DJ was wünschen wollt, solltet ihr das delegieren. Der legte an „unserem“ Abend echt angenehm auf: Gothic Rock, Wave, Batcave, Oldschool EBM. Es füllte sich relativ spät, aber es füllte sich (selbst an einem Wochentag). Wir blieben nur bis 3 Uhr, denn am nächsten Tag fuhren wir wieder nach Hause. UPDATE – 14.02.2014: Das Korsakoff wurde im Dez 2013 leider geschlossen. 🙁
Das Fahren von/nach Deutschland überlasst ihr am besten der Deutschen Bahn. Dann habt ihr das Parkproblem nämlich perfekt gelöst. Ich war schon mehrfach in Amsterdam, oft mit der Bahn, aber auch schon mit dem Auto. Parken im Zentrum ist sehr teuer und es ist fast unmöglich dort einen Parkplatz zu finden. Wir haben es mangels Hotel und erst recht Parkgarage in einem der Vororte mit Tram-Anschluss geparkt. Alles ging gut, kostete nix und bei der Rückkehr war das Auto noch da. Aber das ist nicht jedermanns Sache und auch etwas Risiko dabei, das unter anderem darin besteht, dass man sich nicht merkt, wo das Auto steht (Tipp: Haltestellenschild fotografieren). Diejenigen unter Euch, die einen Jaguar fahren, sollten sich also besser eine Hotelgarage leisten.
Alternativ Übernachten
Gothics, die es alternativ mögen und sparen wollen, kann ich das The Flying Pig Uptown Hostel empfehlen. Für die Sauberkeit gäbe es sicher eine bessere Alternative, aber wann ist man dann schon in seinem Zimmer? Das Uptown Hostel in der Vossiusstraat liegt zentral, aber ruhig gegenüber vom riesigen Vondelpark, der grünen Lunge von Amsterdam. Laut ist es also höchstens von innen. Wobei sich das auf die Bar im Erdgeschoss konzentriert, in der am nächsten Morgen auch das Frühstück „gefasst“ wird. Das Frühstücks-Chaos hier fand ich sehr lustig. Ein Rastafari versuchte als Frühstücks-Direktor völlig verpeilt aber total „ge-chilled“ das Buffet zu managen und alle anwesenden Freaks mit wenigstens 1 Scheibe Toast zu versorgen. Das Flying Pig ist ein echtes Erlebnis, wenn man locker drauf ist. Und das ist ja in Amsterdam nicht schwer.
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GOTHIC GUIDE AMSTERDAM
Eine Seite mit den wichtigsten Infos zum Mitnehmen auf Reisen: Gratis-Download Gothic Guide Amsterdam
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6 Kommentare zu „Amsterdam – eine Kathedrale für Cineasten“
Park and Ride in Amsterdam (z.B. Olympiastadion)
kostet 6 Euro pro Tag und man bekommt noch ein Ticket für
die Straasenbahn zum in die Stadt fahren und wieder zurück zum P+R Parplatz
http://www.iamsterdam.com/de/visiting/praktischeinformationen/verkehr/parkeninamsterdam/abstellenundweiterfahren
Schöner Artikel – sehr spannend zu lesen. Danke!
Rattenscharf, das Kino! Und es gibt in Amsterdam sogar Gothic-Katzen! Das muss man sich merken …
Sehr ausführlicher Bericht! Gefällt mir richtig gut, das sich noch weitere dunkle Gestalten mit ihrer Reisegestaltung an die Öffentlichkeit „trauen“. Leider hatten Amsterdam und ich noch keine Gelegenheit zum Kennenlernen, aber ich gebe zu, dein Bericht hat den Wunsch danach deutlich verstärkt!
Hallo erstmal ^^
Klingt sehr interessant, wie du das geschrieben hast! öö
Das Theater stell ich mir richtig geil vor ÖÖ
schade nur, dass es so weit weg ist >.<
Sooo… hehe.. deine Seite ist echt schon richtig toll^^, bin mal gespannt, was noch kommt =)
glg Sandra
Coole Tipps, danke!
Kriegt man in dem Gothic Club auch das Korsakoff-Syndrom? *lach*