Wir rumpeln seit 20 min im 1. Gang über eine schmale Schotterstraße durch das siebenbürgische Erzgebirge in Rumänien. Schneller sollten wir hier besser nicht fahren mit unserem Golf. In Zeitlupe zieht die Landschaft vorbei. Da, links, ist die verlassene Arbeitersiedlung, von der Planeten-Gastautor und Rumänien-Fan Uwe[1] gesprochen hat. Hier gabelt sich die Straße und wir sollen den Weg wählen, der am befahrbarsten aussieht. Nun ja, die Qualitätsunterschiede sind nicht riesig. Wir halten uns links, danach geht es ein paar harmlose Serpentinen nach oben und dann stehen wir auf einem Staudamm mit Blick auf ↓. Ein „Uaaargh“ platzt mir heraus – das sieht ja aus wie ein ausgetrockneter Salzsee!!! Wir halten an.
„Ach, Du Scheiße!“ Normalerweise äußere ich mich nicht so ordinär beim Anblick von Naturgewaltigkeiten. Aber ich weiß, dass das hier nicht von der Natur geschaffen ist …
… sondern in diesen Stausee die chemischen Abfälle der Kupfermine Roşia Poieni fließen – der zweitgrößten in Europa. Das Graue sind die Schlämme der sogenannten „froth flotation“. Per „Schaumaufbereitung“ wird das Kupfererz aus anderen Materialien herausgetrennt – im Bergbau heißt das auch Tailing. Solche Tailing-Seen werden im Umfeld von Minen in großen, meist mit Dämmen gesicherten Becken oder Schlammteichen gelagert, was je nach Inhaltsstoffen und bei unsachgemäßer Lagerung einen hohen Gefährdungsgrad für die Umwelt bedeutet.
Ich bin fassungslos ob des Ausmaßes – und das ist erst der Anfang! 130 Hektar ist der Stausee groß, also 170 Fußballfelder passen hinein.
Besser nicht drüber nachdenken, sondern weiter mit unserer „Spritztour im 1. Gang“ (O-Ton M.Synthetic). Es ist nämlich schon später Nachmittag und wir wollen noch zu einem versunkenen Friedhof, von dem Uwe uns beeindruckende Bilder gezeigt hat. Etwas weiter den Weg entlang wird der feste Schlamm im See erst zu orange-rotem Wasser und dann zu einem leuchtenden Grün-Türkis. Faszinierend, wie schön giftiges Wasser aussehen kann! Ans Schwimmen denke ich aber nicht, will da gar nix von mir reinhalten! Es reicht, dass die abgestorbenen Bäume ihre knochigen Äste hilfesuchend oder mahnend (?) aus dem grünen Seewasser strecken.
Unter diesem Tailing-See liegt ein einst schönes Tal und das Dorf Geamana begraben. Vor 40 Jahren, 1977, entschied die Regierung Ceaucescu den Kupferabbau in der Mine Rosia Poieni zu starten und den Stausee anzulegen. Prinzipiell fand man das gut, weil damit Arbeitsplätze in der Region geschaffen wurden, selbst wenn 300 Familien für den Stausee ihr Dorf Geamana verlassen mussten. Als Entschädigung und für den Neuanfang bekamen sie je nach Grundstücksgröße bis zu 2.000 €, was damals wie heute kaum ausreichte, sich eine neue Existenz aufzubauen. Oder gar nichts, wenn ihr Haus hoch genug am Berghang lag, wo sich die heutige Straße befindet. Die meisten Dorfbewohner zogen zu Verwandten in die umliegenden Dörfer, manche haben sich auch ein neues Haus höher auf dem Hügel gebaut. Heute leben hier noch ca. 20 Leute am Giftschlammsee, der besonders morgens arg unangenehm riechen soll.
Ich rieche nichts, aber die Farbgebung finde ich beeindruckend – auch wenn ich sie mir zu dem Zeitpunkt noch nicht erklären kann. Das ist aber eher förderlich für das gesamte Unterfangen, denn so bin ich einfach nur fasziniert und kann die leise Stimme in meinem Kopf („Umweltsünde! Umweltsünde!“) hervorragend ausblenden. Und die Landschaft und Natur, die keinen direkten Kontakt mit dem See hatte, ist oberflächlich betrachtet durchaus idyllisch. Nur ist es totenstill rund um den See. Keine Vögel, keine Mücken. So Giftbrühe hat auch was für sich. 😉
Der See ist groß, wir schnecken weiter auf der ehemaligen Bergstraße entlang. Einmal kommt uns ein Auto entgegen. Das ist beruhigend. Und endlich steht rechts an der Straße „so ein alter Russen-Jeep“, wie Uwe ihn nannte. Dann ein Holzstapel und HUCH, dahinter liegt ein alter Mann auf dem Boden! Auf dem Bauch. An der Straße! Gut, so wenig wie hier los ist … Ist er tot? Oder ohnmächtig? Es ist in Rumänien zwar üblich, dass Tiere am Straßenrand liegen, aber keine alten Männer! Doch er hebt zum Glück langsam den Kopf und blinzelt uns entgegen. Hat wohl ein Nickerchen gemacht. Kurz nach dem untoten alten Mann sehen wir durch die Bäume den schwarzen Turm einer Kirche durchblitzen. Und genau wie es Uwe beschrieben hat ist da auch ein Haus, in dem eine alte Frau mit ihrem großen Hund leben soll. Hier sind wir richtig, wir haben es gefunden. Das ist noch nicht Geamana, sondern ein anderer Ort, dessen Kirche, Friedhof und Schule verlassen am Giftsee ihrem Schicksal harren.
Es geht zu Fuß weiter. Ich ziehe mir das erste Mal in diesem Urlaub Wanderschuhe und lange Hosen an, denn ich will keinen Hautkontakt mit gar nichts. Die Kirche am See liegt hinter dem Grundstück der alten Frau mit Hund. Da müssen wir jetzt durch. Wir laufen erst wieder ein Stück auf der Straße entlang und sehen nach wie vor den untoten alten Mann da liegen. Mittlerweile hat er sich aufgestützt und schaut uns müde-grinsend entgegen. Wir grüßen und ich frage, ob es darunter zum „Cimitir“ geht. Jaja, nickt er. Wir bedanken uns freundlich und wagen uns auf das Territorium des Hauses. Und zack, schon kommt von unten ein wirklich großer (!) weißer Schäfer-Hüte-Hund angeschossen. Aber der Alte ruft und beruhigt ihn. Puh!!!
Unbehelligt laufen wir jetzt zur Kirche runter, vorbei an Kühen, die auch der alten Frau gehören, vorbei an einer alten kleinen Dorfschule. Neben der Kirche sehen wir die ersten Grabkreuze im Wasser: der versinkende Friedhof. Wahnsinn! Viele Gräber sind schon ertrunken im grünen Wasser, andere haben „nasse Füße“. Wasserleichen sind nicht zu sehen, aber es gibt sie. Ich finde es einfach nur krass! Und faszinierend. Zeitweise mischt sich auch ein umweltbewusstes Unbehagen ein. Bis die Denkmaschine abstürzt und ich nur noch schaue, fotografiere und diese Seltenheit genieße. Diese Farben, Spiegelungen im Wasser, die Stille. Nur die Kuhglocken schellen, denn einige Tiere weiden ebenfalls auf dem Friedhof. Irgendwann hallt mit starkem Echo der Ruf des alten Mannes herunter zu uns und die Kühe begeben sich behäbig zum Haus rüber.
So etwas habe ich noch nie gesehen und werde ich wohl nicht mehr sehen. In 2-3 Jahren ist von dem Friedhof nicht mehr viel übrig, denn der See steigt durch die ständige Schlammzufuhr etwa 90cm pro Jahr an. Bei Uwe’s Besuch hier im Jahr zuvor waren einige der Gräber noch nicht im See versunken, von denen jetzt nur noch die Spitzen der Grabkreuze herausragen. Der Giftsee bringt also sogar den Toten noch den Tod. Ist das nicht paradox?
Als wir zurück über das Anwesen des alten Ehepaares laufen, bereite ich mich auf den Hund vor und gehe tapfer voran. Mit Hunden kann ich generell etwas besser als mein Freund und habe schon mit 10 Jahren ungewollt ein paar Abwehrtechniken an einem Bernhardiner üben dürfen. Und was so ein guter rumänischer Wachhund ist … es dauert nicht lange, bis er von oben zähnefletschend auf mich zugerannt kommt. Ich zucke heftig zusammen, gehe in Abwehr. Aber der alte untote Mann, der immer noch oben am Wegesrand sitzt, rettet uns ein weiteres Mal und pfeift ihn energisch zurück. Wir atmen durch. Wir bedanken uns beim alten Herrn und versuchen eine kleine Hände-und-Füße-rumänisch-Konversation. Da sage ich doch tatsächlich – wohl noch im Affekt – dass der Friedhof schön („frumos“) ist 🙄 … äh, traurig *reibe mit den Händen in den Augen* und schaue betroffen. Der Mann zuckt nur mit den Schultern und erzählt (sinngemäß), dass man eh nichts machen kann und er sei ja schon 76. Sicher, an diesem See sind seine Tage schneller gezählt. Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr. Sie haben gelernt damit zu leben und werden wohl mit ihrem Haus, was leider schon nah am Ufer des Sees liegt, untergehen. Wie die Gräber.
Ich könnte das nicht – jeden Morgen neben dieser Brühe aufwachen! Die Milch der Kühe trinken. Und was ist mit dem Grundwasser? Angeblich wäre das Grundwasser noch gut liest man in einem Artikel aus dem Jahre 2012. Falls das überhaupt jemals gestimmt hat, kann es sich in 5 Jahren erheblich verändert haben. Im Boden hier wurde Cadmium in 10-fach erhöhtem Wert gemessen. Cadmium führt zu vorzeitiger Alterung der menschlichen Zellen, zu Leber-, Nieren-, Lungen-Schäden und steht im Verdacht Krebs zu erzeugen. Ich glaube, für die noch verbliebenen Menschen hier ist das Nicht-Wissen(-Wollen) um chemische und ökologische Zustände und deren medizinische Folgen lebenswichtig.
Wir fahren weiter immer links vom See entlang. Das Wasser ändert seine Farbe wie ein Chamäleon. Jetzt kommen wir an mehreren Hütten vorbei und unser Auto wird von Hunden angekläfft, flankiert, verfolgt. M.Synthetic hat die hervorragende Idee zur Abschreckung demnächst Löwengebrüll aufzunehmen und bei Hundekontakt das Fenster herunter und den Volumenregler bis zum Anschlag aufzudrehen. Ich zähle circa 6 alte Menschen, an denen wir vorbeifahren. Meist sitzen sie, geschafft vom Tagwerk, irgendwo in der Nähe ihres Hofes in der schönen Abendsonne.
Endlich sind wir im gefluteten Geamana angekommen – das sehen wir am Kirchturm im Wasser. Viel schaut nicht mehr heraus. Vor zwei Jahren sah man noch das Dach des Kirchenschiffes – Uwe hat es fotografisch festgehalten (rechts). Nichts vom einstigen Dorf ist mehr übrig, der Kirchturm ist die letzte Erinnerung. Alles verschüttet. Hier atmet nichts mehr.
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Eine beeindruckende Tragik. Der Schlamm schillert in der Abendsonne bizarr wie eine Plastikplane. Als wären wir auf einem fremden Planeten mit toxischer Atmosphäre gelandet. Es ist unwirklich. Ihr müsst dort gewesen sein, um eure eigenen eigenartigen Gefühle entwickeln zu können. Aber ihr solltet euch beeilen. In 1,5 Jahren wird nur noch das blecherne Kirchendach herausschauen. Dann ist das Dorf Geamana endgültig verstorben.
Ein Stück weiter dann wieder dörfliche Bauernromantik. Wenn man nicht im Hintergrund den farbigen See mit dem Kirchturm von Geamana sehen würde … Dass Natur überhaupt noch so schön sein kann, mit einem toxischen See als Nachbarn. Hochachtung! Tut mir ja leid, aber ich bin fasziniert.
Hier im Stausee von Geamana kommt es zu dieser starken Sauerwasserbildung. Das Wasser mit einem teils stark sauren pH Wert von 1,5-2 enthält (nicht nur die Farben der) Schwermetalle Cu (Kupfer), Fe (Eisen), Cr (Chrom), Zn (Zink), As (Arsen), Mn (Mangan) u.a. Um diese Schwermetalle etwas zu neutralisieren wird den Abwässern Kalkstein beigemischt. Wir sind fast bis um den See gefahren und haben auch die Stelle gesehen, wo das Wasser eingeleitet wird. Dort ist der Wald ringsum grau vom beigemischten Kalk. Außerdem hört man deutlich wie die graue Schlacke in den Stausee hineinploppt – so still ist es im Tal. Und sie wird weiter hineinfließen, auch wenn mittlerweile weniger abgebaut wird in der Kupfermine. Für den staatlichen Betrieb wird seit Jahren ein privater Investor gesucht, allerdings scheuen die meisten Unternehmen vor den hohen Umweltinvestitionen zurück, die zur Erneuerung der längst abgelaufenen Umweltgenehmigung nach EU-Vorgaben notwendig sind.
Gegen halb neun abends fahren wir den ganzen Weg wieder zurück. Wir sind sehr erschöpft von 5 Stunden tragisch-beeindruckender Vergänglichkeit für Umwelt und Mensch. Von Menschen zerstört. Alles wie immer.
R.I.P. Geamana
Lieber Uwe: wir sind dir zutiefst dankbar für den Tipp, die weltbeste Wegbeschreibung, die tollen Fotos & dieses unvergessliche Erlebnis!
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Quellen und weitere lesenswerte Artikel
Ein Dorf, im Schlamm versunken (deutsch, ADZ Online)
Geamana – the village flooded by a toxic lake (primanatura.ro)
The village that drowned (Daily Mail Online)
10 versunkene Städte (weather.com)
2019: Das versunkene Dorf: Giftschlamm in Rumänien | ARTE Re: Doku – YouTube
16 Kommentare zu „Das versunkene Dorf“
Durch Zufall bin ich auf diesen Artikel gestoßen. Derzeit bin ich bei der Planung meiner vierwöchigen Motorradtour durch Rumänien im Juli/August. „Aktuellen“ Bildern von Juli 2023 (Google Maps) nach zu urteilen, sieht man gerade noch die Dachkonstruktion der Kirche im See. Und Wikipedia sagt, dass im Jahr 2021 bei der Volkszählung in Geamana keine Menschen mehr registriert wurden.
Natürlich werde ich trotzdem hinfahren. Gerade so abgelegene Gegenden ziehen mich an. Und die Geschichte dahinter fasziniert und verärgert mich gleichermaßen.
Danke für den gut geschriebenen Artikel! Ich werde definitiv weiter stöbern und schauen, was sich auf meinen Reisen so verbinden lässt.
Hallo,
Motorradtour durch Rumänien klingt gut und abenteuerlich. Die Straßen sind wegen ihrer Schlaglöcher nicht ungefährlich und auch das Getier am Straßenrand ist einzukalkulieren. Ich fahre selbst auch Motorrad, aber durch Rumänien würde ich mir nicht zutrauen. Wünsche dir viel Spaß und dass alles gut geht!
Geamana ist wirklich auf seine Art beeindruckend und es würde mich auch reizen, diese Gegend noch mal zu besuchen. Ich würde mich über einen Kommentar freuen, wenn Du zurück bist, wie es nun 2024 dort wirklich ist und ob man überhaupt noch etwas vom Kirchturm sieht.
Liebe Grusels
Shan Dark
Hi Shan Dark,
auf der Suche nach spannenden Geschichten in Rumänien, bin ich auf diesen Bericht aufmerksam geworden. Echt toll, Danke für diesen spannenden Eindruck.
Wir machen uns Mitte Mai auf den Weg Richtung Rumänien und haben fest diesen Ort eingeplant und sind gespannt ob wir überhaupt noch die Kirchturmspitze zu sehen bekommen.
Lg.
Regina
Hallo Regina,
dann wünsche ich Euch eine gute Reise und interessante Eindrücke. Der Ort und die ganze Gegend dort ist wirklich einzigartig und ich bin immer in einem Gefühlsbad geschwommen von Faszination und Erschrecken über die Auswirkungen menschlichen Tuns auf die Natur. Ich hoffe, ihr seht noch die Kirchturmspitze (aber ich befürchte eher nicht). Würde mich sehr freuen, wenn Du hinterher kurz berichtest in einem Kommentar, wie sich die Lage dort entwickelt hat.
Kommt gut hin und habt eine gute Zeit!
Liebe Grusels
Shan Dark
Ein wahnsinnig toller Bericht. Da wird es uns auch irgendwann einmal hinziehen, aber dann mit dem Wohnmobil
VG
Hallo. Toller Text, tolle Bilder, vor allem die Fotos mit den typischen rumänischen Kirchen! Ich war zweimal in Rumänien. 2017 konzentrierte ich mich auf Bukarest. Keine ausgesprochen saubere und „schöne“ Stadt, aber eine Metropole, die mich ungeheuer in ihren Bann zog. 2018 flog ich wieder nach Bukarest, unternahm aber von dort aus mehrere Ausflüge mit dem Zug ins Landesinnere. Welche Erlebnisse soll ich für diesen Beitrag herausgreifen? Es gibt so viele! Wenn ich an all die jungen Menschen denke, die (meistens drogenabhängig) in Bukarest unter der Erde in Tunnels leben, wenn ich an die jungen Mütter denke, die spätabends mit ihren Kindern in der Calea Victoriel auf dem Boden schlafen, dann läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich möchte von einer „Schlüsselerfahrung“ berichten, die ich in Brasow (Kronstadt) in Siebenbürgen hatte. Als ich nach einer langen Zugfahrt dort in der sommerlichen Hitze ankam, suchte ich sofort eine gutes Restaurant in einer pittoresken Nebenstraße aus, wo ich mir rumänische Suppe, Pasta und rumänischen Wein bestellte. Ich genoss mein Essen und fühlte mich den Menschen dieses tapferen Volkes so nahe. Plötzlich kam ein kleines Mädchen auf mich zu. Es sagte nichts, aber hielt die leere Hand hin. Mein erster Gedanke war: Möchte sie Geld oder etwas zu essen? Naiver Gedanke. Mein zweiter Gedanke war: Bin ich überhaupt befugt, diesem Mädchen Geld zu geben? Ich hätte das Mädchen liebend gerne zum Essen eingeladen, denn es sah so abgemagert aus! Dazu kam es jedoch nicht, denn der Besitzer des Restaurants kam wutentbrannt heraus und vertrieb das arme Mädchen mit einer Brutalität, die mich zutiefst schockierte. Ich schämte mich, weil ich diesem Mädchen nicht geholfen hatte. Einige Tage später in Bukarest wiederholte sich die Szene. Diesmal wurde ein etwa 18-jähriges Mädchen äußerst unsanft vom Patron eines Restaurants vertrieben. Und wieder empfand ich Scham. Ich fühlte mich schäbig. Nicht weil ich ein opulentes Abendessen genossen hatte, sondern weil ich mich in meinem Leben bis dahin niemals für Menschen, denen es viel schlechter geht als uns, eingesetzt hatte. Meine Bücher waren mir stets wichtiger als das Leid meiner Mitmenschen. Das muss ich irgendwann ändern.
Gerade heute sah ich ein Bild des Rio Tinto, so orange-ockerfarbig und giftig. Ich dachte mir: das kommt mir doch bekannt vor!
Siehe hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%ADo_Tinto
Update:
Wir waren Ende Mai 2018 vor Ort.
Natürlich ist es nicht besser geworden, das „Wasser“ steht jetzt sehr kurz vor der Kirche. Ich denke, spätestens in einem Jahr wird sie im Nassen stehen.
Vom Kreuz (sh. erstes Bild ganz oben) guckt nur noch ca. ein Viertel aus dem Wasser.
Die Anreise war problemlos, im Ort haben wir nur eine alte Dame mit einem Hund getroffen. Auf der Straße rund um den See waren immer wieder Arbeiter anzutreffen.
Viele Grüße!
Dirk
Hier sind ein paar aktuelle Bilder dazwischen: https://www.instagram.com/dirkh4/?hl=de
Hallo Dirk,
hab lieben Dank für Deinen Kommentar mit Update, ich habe mir auch gleich auf Instagram die Versinkung in Bildern angeschaut. Schon krass, wie schnell das geht. Warst Du bis zum Kirchturm? Da ist sicher auch bald nichts mehr zu sehen und so sind der Artikel und die Bilder bald Zeitzeugen von etwas, das dem Auge in Zukunft verborgen bleibt.
Liebe Grusels
Shan Dark
Interessant zu lesen, ganz so dystopisch-makaber bin ich bei meinen Reiseplanungen jedoch nicht drauf. Beste Grüße
Bericht und Bilder – faszinierend und beeindruckend ! Danke für den bewegenden Artikel! Ein wenig kenne ich sowas, nämlich von den Tagebaulöchern südlich von Leipzig wo ich in den 80er Jahren buchstäblich drin herumstieg. Einmal war da auch das ansteigende Grundwasser stark orange gefärbt. Das ergab sich aus der Verwitterung von Pyrit.
https://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/geologie/26953.htm
Die Eindrücke die ich bekam waren gar nicht unähnlich wie von ShanDark beschrieben; freilich ohne ein versinkendes Dorf und einen Friedhof im Wasser.
Weil alle Stellen der riesigen Grube tiefer lagen als die Umgebung sah man diese nicht mehr und hatte man beim Abstieg sehr rasch das Gefühl, die bekannte Welt zu verlassen und eine fremdartige Mondlandschaft zu betreten, zumindest dort wo nicht aktiv Braunkohle gebaggert wurde sondern wo alte Halden lange sich selbst überlassen waren. Im grauen Sand der endlosen Abraumhalden lagen immer wieder rissige Muschelschalen; die 29 Millionen Jahre alten Zeugen des damaligen Rupelmeeres. Ich hatte den Eindruck einer alptraumhaften Auslöschung der Landschaft, war aber zugleich auch fasziniert.
Eigentlich ist das ALLES pure Natur. Also die Entstehung von Pyrit (https://www.icbm.de/mbgc/interner-bereich/mbgc/uebungen/pyrit/wie-entsteht-pyrit/) wie auch dessen Verwitterung so viele Millionen Jahre später. Jedesmal werkeln da Bakterien im Sediment …
Ich versuche mir vorzustellen wie es wohl aussah als sich dazumal Metallhaltige Sedimente bildeten … das ganze Schwermetall ist ja mal ohne menschliches Zutun abgelagert worden – sah das auch so aus wie auf den Bildern des Artikels? Ich vermag es mir nicht vorzustellen, doch eins ist sicher: es waren riesige Flächen wo das passierte.
Da gab es das Zechsteinbecken vor ca. 255 Millionen Jahren! So groß wie 1/3 des heutigen Europas. Und da lagerte sich auch was ab, Zitat:
„Das Kupfererz enthält eine Vielzahl von Metallen, unter anderem Kupfer, Blei, Zink und Silber. Die Entstehung des Kupfererzes begann vor etwa 260 Millionen Jahren, als von Norden das so genannte Zechsteinmeer in das Gebiet des heutigen Mansfelder Landes vordrang. Das Zechsteinmeer wurde im Laufe der Zeit mehrfach vom Weltmeer abgetrennt. Bei den damals vorherrschenden Klimaverhältnissen kam es zur Eindampfung des Wassers, verbunden mit einer Ablagerung von tonigen und sandigen Sedimenten.
Diese Sedimente legten sich über den auf dem Meeresboden vorhandenen Faulschlamm. Aus diesem Faulschlamm entstand dann das Kupfererz.„
Beim Versuch mir das vorzustellen wird mir schwindlig. Eine gigantische flache Landschaft langsam trocknenden Kupferhaltigen Faulschlamms. Oder so ähnlich. Das geht nicht in meinen Kopf; ich kanns eigentlich gar nicht glauben.
@Schwarzer Nieswurz: Danke für Deinen erzreichhaltigen Kommentar. 🙂 Jetzt bin ich auch darin gefangen, mir vorstellen zu wollen, dass es früher mal überall so aussah wie auf dem Stausee. Ohne Pflanzen weit und breit. Eine Wüste aus Faulschlamm. Aus Giftschlamm für empfindliche Lebewesen wie Pflanzen und Menschen. Das stimmt schon, die restlichen Prozesse nach Einleiten der Schlacke in den Stausee sind „natürliche Prozesse“, da läuft das volle Programm mit Oxidation und so. Nur früher, zu Zeiten des Rupel- und Zechsteinmeeres gab es eben auch noch keine Männekens und nicht so viele Pflänzgens ringsum, die sich kritisch mit der Schlammmasse auseinander zu setzen hatten. Es war damals wohl eher „Aufbau“ und Entstehung statt wie von dir treffend genannte „alptraumhafte Auslöschung“. Aber Danke für das interessante Gedankenspiel, sich das mal aus dieser Perspektive zu betrachten. Ich kann’s mir nun auch besser vorstellen, wie das damals war, als das Kupfer entstand, was man heute abbaut. Das macht’s nicht schöner, aber bekommt einen erweiterten Zusammenhang. Meta-Schlamm-Tagebau-Ebene sozusagen! 😉
Ein toller Bericht zu einem krassen Verbrechen. Anders kann ich es nicht bezeichnen, als ein Verbrechen an Natur und Mensch.
@Andreas: Ja, ein Verbrechen ist es wohl. Tailing-Seen gibt es auch woanders, aber da wird offenbar stärker darauf geachtet, dass die Umwelt weitestgehend geschützt wird. Alles was hier getan wird ist ein bisschen Kalk dem Schlamm beizumischen, was aber nicht viel hilft. Ansonsten ist das alles unkontrolliert aus meiner Sicht und ja, die Umweltzulassung ist auch schon längst abgelaufen. Trotzdem wird fröhlich weiterproduziert.
@Uwe: Ich bin gespannt, was Du nächstes Jahr erzählst und wie weit der Kirchturm dann versunken ist. Und ob der untote alte Mann und seine Frau noch in ihrem Haus wohnen können…
@Alexandra: Traurig, allerdings. Aber eben auch beeindruckend. Ich war so zwiegespalten. Sowas sieht man eben auch nicht oft. (zum Glück!)
Einen wirklich lesenswerten und schönen Bericht hast Du da gemacht!
Ja, es ist schwierig diese eigenartige Mischung zwischen Staunen, Faszination und Unbehagen, aber auch Ärger und Wut, zu beschreiben die man dort empfindet. Aber das hast Du toll hinbekommen.
Mich lässt dieser Ort irgendwie nicht mehr los, und ich werde ihm wohl weiterhin jedes Mal einen Besuch abstatten wenn ich in der Gegend bin.
Ich freue mich jedenfalls sehr darüber, dass sich mein Tipp für Euch gelohnt hat und dass ich mich so für Deine zahlreichen Reisetipps, von denen ich ja zum Teil auch schon profitiert habe, ein wenig revanchieren konnte.
Wow, das ist ja wirklich beeindruckend – und unsäglich traurig, was da mit der Natur (und den Menschen) passiert. Danke für diesen Einblick, Dina!