Gastbeitrag r@zorbla.de – Interview zum Szeneeinstieg

Gothic Friday – Januar – Gastbeitrag von r@zorbla.de

Es gibt ja viele, die sagen: Internetbekanntschaften sind nichts wert. Halten nicht, was sie versprechen. Sind oberflächlich. Aus virtuellen Freunden werden nie welche im „echten Leben“… und so weiter.

Das kann man aber pauschal genauso wenig ausschließen wie voraussetzen. Klar kann es durchaus zu herben Enttäuschungen kommen, in denen sich das interessante Profilfoto und die freundlichen Tastenergüsse als absolut realitätsunverdaulich erweisen. Aber es gibt auch Lichtblicke. Im vergangenen Jahr hatte ich so einen mit r@zorbla.de. Ich habe ihn im „Karriere-Netzwerk“ XING **lach** in der Gruppe „Dunkelmusik“ entdeckt und festgestellt, dass er ja in der selben Firma arbeitet wie ich – nur an einem anderen Standort. Juhu – vielleicht eine gleichgestimmte Seele! Und tatsächlich – wir waren uns schnell sympathisch und das hat zum Glück auch der Begegnung im realen Leben standgehalten. Seitdem sind wir befreundet und tauschen uns entweder ‚live’ oder online über Goth und die Welt aus. Das möchte ich absolut nicht mehr missen und hoffe, wir haben noch eine steile „freundschaftliche Karriere“ vor uns… 😆

r@zorbla.de bevorzugt und macht selbst elektronische Musik – seine eigenen Stücke und Remixe findet ihr hier.

Zum Januar-Thema „Wie bist Du in die Gothic-Szene gekommen?“ habe ich mit ihm ein Interview geführt – im Mittelalter hätte man dazu „peinliche Befragung“ gesagt  🙄 . Daraus wurde der folgende Gastbeitrag von r@zorbla.de.

Interview mit Tulpen
Ein tulpiges Interview-Suchbild: Finde den Schummel!

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Shan Dark: Kannst Du Dich erinnern, wie und wann Du das erste Mal mit „Gothic“ in Berührung gekommen bist? War das über die Musik oder auf eine andere Art, z.B. über ein Buch oder eine bestimmte Faszination für etwas Düsteres?

r@zorbla.de: Einiges, was mich interessierte, wurde eben in diese Schublade gesteckt. Über irgendwelche derartigen Zusammenhänge bin ich dann dem Begriff „Gothic“ erstmals begegnet. Ich weiß nur echt nicht mehr genau, wann, wo und wie genau.

krawatte
Ein Bild von etwas früher. Zeigt schon meine Vorliebe für Kontraste. Da hatte ich noch diese Badewannenstöpsel-Kette an der schnallenfreien Hose...

Aber was war das denn? Fasziniert haben mich schon immer fast klischeehafte Dinge wie Vampire, Zombies, alte halbverfallene Gebäude im Nebel (am besten noch mit Spinnweben). Oder Wetterstimmungen, die andere zum Weglaufen bewegen. Beim Rollenspielen (AD&D, Forgotten Realms) fand ich die Monster am hübschesten, und die Dunkelelfen am interessantesten. Mich fesseln Geschichten, aus denen Melancholie und Verzweiflung trieft mehr als z.B. klassische  Liebesromane.

In der Musik ging es bei mir überwiegend um elektronische Klänge. Ich bin ein Kind der 80er. Dazu gehörten z.B. Propaganda oder Yello. Und bevor ich 1984maverick kennen gelernt habe, dachte ich, dass ich der größte Depeche Mode Fan bin  😉

Im Dorian Gray (Electro-Synth-später-Techno-Kult-Club am Frankfurter Flughafen, den es aber mittlerweile nicht mehr gibt…) lernte ich gegen 1990/91 EBM & Co kennen – mochte aber auch den „anderen“ Techno und die „Trance Nights“ mit DJ Dag sehr. Damals kannte ich allerdings die Namen der EBM-Bands noch nicht. Als ich 1990 im Plattenladen erstmals zufällig in eine Nitzer Ebb CD reinhörte, wäre ich fast schreiend davongelaufen. Ich fand eher die „neueren Sachen“ interessant: Bigod20, neuere Front 242, Pouppée Fabrikk, Die Form…

Guter Musikgeschmack ;-)… War es bei Dir eher ein schleichender Prozess zum „Gothic“?

Wie aus der vorigen Antwort schon hervorgeht, gibt es bei mir keinen Prozess in diesem Sinne. Ich bin erstmal wie ich bin, habe irgendwelche Interessen und Einstellungen, die man vielleicht als szenetypisch ansehen mag. Aber wozu ich wie werde, mache ich eigentlich an keinem Begriff oder dessen Inhaltsdefinition fest.

Zudem hört sich „Gothic werden“ so allumfassend an. Ist es bei mir sicher nicht. Es gibt in meinem Leben und Handeln vieles, was rein gar nichts mit „Gothic“ zu tun hat.

Schlaufending
Schlaufending

Von meinem Auftreten her gibt es da vielleicht eher einen Prozess, der hauptsächlich situationsbedingt ist: Je nach organisatorischer und finanzieller Situation habe ich mich eben eingefügt oder angepasst. So wechselte mein Erscheinungsbild von unauffällig 80er-bunt allmählich zu einfach schwarz (mit einer extrabunten Phase dazwischen). In den 90ern habe ich dann irgendwann auch mal meine Haare schwarz gefärbt (mache ich nicht mehr) und so komische schwarze Plastikdinger an Arm und Finger getragen (dehnbar, Schlaufenmuster, siehe Foto rechts). Zuletzt wurde es dann noch etwas komplexer inklusive „Ausgeh-Uniform“.

Aber während des Studiums oder meiner Selbstständigkeit kam es für mich (überkorrekte Jungfrau als Sternzeichen) einfach nicht in Frage, „anders“ auszusehen, auch wenn ich wollte. Und für zwei Garderoben hat das Geld auch nicht gereicht.

Hatten Deine Freunde oder Partner Einfluss auf Deinen „Szeneeinstieg“?

Kartentrick
Aus meiner bunten Phase. Man stelle sich dazu eine rote Jeans und weiße Segeltuchschuhe vor. Und dann manchmal noch eine CD an einer groben Kette um den Hals, sowie eine verspiegelte Sonnenbrille mit rosa Rand. Nein, ich habe kein Bild vom damaligen Gesamt-Outfit. Schwein gehabt!

Ich würde sagen: Nein. Ich habe auch entgegen der Geschmäcker und Einstellungen meiner Freunde meine Interessen verfolgt (Ist jetzt nicht ganz so egoistisch, wie es sich anhört).

Wann hattest Du das Gefühl, „drin“ zu sein? Oder gab es das gar nicht?

Das ist mir eigentlich gar nicht so recht wichtig (Schock!). Die Menschen machen das soziale Umfeld aus, nicht irgendwelche Szeneklischees oder Zugehörigkeitsdefinitionen. Ich besuche einige Szene-Parties, -Konzerte, -Festivals. Ich werde oft zumindest als „schräg“ bezeichnet, auch unabhängig von meinem Auftreten. Ein Teil dieser „Schräge“ ist dabei durchaus als szenetypisch anzusehen.

Ganz ohne Gefühl sage ich daher: Ich bin „drin“, aber bitte behaltet dabei im Auge, dass „Gothic“ als Begriff einerseits heutzutage deutlich anders verwendet wird als noch vor 30 Jahren und dass die heutige sich als solche bezeichnende Szene selbst aus diversen Einheiten zusammengesetzt ist. Ich bin sicher nicht in jeder davon „drin“.

Was würdest Du heute sagen, hat Dich am meisten beeinflusst oder „in die Szene gezogen“?

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Ich beim Amphi 2010

Die größten Kontaktpunkte sind über die Musik entstanden. Also muss mich das wohl am meisten beeinflusst haben. Über gammlige Gebäude und Vampire konnte ich auch mit Muggeln, äh, Szenefremden vortrefflich diskutieren. (Achtung! Da war ein Scherz versteckt. Echt jetzt.)

Was waren Deine wichtigsten musikalischen Einflüsse in Bezug auf den Szeneeinstieg?

Meine erste :wumpscut: CD (Embryodead) war dabei sicher ein Aha-Erlebnis. Irgendwie hart und kratzig, aber genau meine Schwingung. Man machte sich nach dieser Anschaffung Sorgen über meinen Gemütszustand.

Hast Du vorher in andere (Jugend- oder Musik-) Szenen reingeschnuppert?

Ich habe einiges vom 80er-Pop mitgemacht. Von a-ha bis ZZ-Top. Für mich war das einfach „lala“, wie auch die oben schon erwähnten Propaganda und Yello und dieser (wie ich später erfuhr) EBM und der Elektro-Industrial. Ob das nun eine besondere Szene war oder nicht: Keine Ahnung.

Würdest Du Dich als Gothic bezeichnen oder findest Du einen anderen Begriff für dich treffender/passender?

Ich bin einfach ich. Nur ein winziges Puzzleteil in der schwarzen Szene. Wie man mich dabei nennt, ist mir egal – solange es nicht respektlos wird.

Super – danke Dir für das Interview!

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13 Kommentare zu „Gastbeitrag r@zorbla.de – Interview zum Szeneeinstieg“

  1. Ja, danke soweit. Wir haben auch schon über 30 Fans auf FB …

    Ich habe im Rahmen der (wieder)Veröffentlichung unserer Songs bis 2006 schonmal angemerkt, dass On The Ground eher technoid ist. Wobei the Horrorist etwas mehr knurrt während wir etwas mehr kratzen, oder nicht? 😉

  2. solitary_core

    hm anorkia klingt nach ner intressanten Mischung, auch wenn mich „on the ground“ etwas an „one night in nyc“ von the Horrorist erinnert XD

  3. @orphi: Borg passt schon ganz gut. Ich fand das ganz angemessen, weil ich mich ja hauptsächlich im elektronischen Umfeld bewege.

    @shan_dark: Wenn du diesen umständlichen Begriff unbedingt benutzen willst… 😉

    1. Der Einfachheit halber verkürze ich auf „schräge, schwarze Seele“ 😉

      Soso, du bist also gern ein Mischwesen aus Mensch und Maschine? Naja, für den 1. Eindruck auf dem kleinen Bild kommt das vllt. hin, für mich ist da auch noch ein ordentlicher Schuss Steampunk mit drin.

  4. Stimmt, ich habe übersehen das es ein Zitat war. Ich halte meine Angebot aber dennoch aufrecht. Meine Müdigkeit hat die Aufmerksamkeit elendig dahingerafft *röchel*

  5. Neee, neee ich bin jenseits aller Begrifflichkeiten. Das war ein Zitat aus der Antwort von razorblade. Aber vielleicht könntest du mich: „Beste Schriftstellerin aller Zeiten nennen“ oder „Göttin“ oder so. Das würde mir schon weiterhelfen…irgendwie 😉 Und warum eigentlich auseinandersetzen? Hast du nicht gesagt, wir wollen uns zusammensetzen?

    1. @Orphi: Der Robert hat sich da wohl verschrieben 😉 und es sollte bis morgen früh niemand merken. Aber du schnarchst natürlich hier noch zu Spätzeiten vorbei und entdeckst das auch noch! **ts ts ts** Ich glaub, wir sollten uns alle mal zum gemeinsamen Auseinandersetzen dringend zusammensetzen. Das wird lustig!

      @r@zorbla.de: Puh, mit noch einem @ davor gewinnt dein Nickname eine gewisse Unerfassbarkeit. Das trifft vielleicht auch ein wenig auf Dich zu ;-). Ein bisschen kenne ich dich ja jetzt schon und würde Dich anderen als „herrlich schräge, schwarze Seele mit sympathischer Art“ beschreiben. Einer der üblichen Begriffe passt irgendwie nicht so recht.

  6. …Mir ist es lieber, wenn mein Gegenüber sich mit mir auseinandersetzt und dann einen Begriff aus dem Hut zaubert,…

    Na, auf den ersten Blick (Bild oben links im Gothic-Friday-Logo) hätte ich spontan den Begriff „Borg!“ gewählt. War das auf einer Convention oder ist das Industrial… EBM? Weiß man ja heute nicht mehr so genau… 😉

    Ich finde die Idee mit dem Interview auch klasse. Außerdem habt ihr offensichtlich viel Spaß gehabt. Es wird deutlich, dass Gothic – oder wie man es auch immer nennen mag – nur ein Teil des Lebens ist, neben vielen anderen Dingen, die einen so ausmachen. Sehe ich ganz genauso.

    Wenn ich zufällig Nitzer Ebb CDs höre, renne ich übrigens auch immer schreiend weg – noch heute :-)!

  7. Ha! Diese Brillen waren damals einfach die Besten! *hüstel*
    Hier in Bonn gibt es übrigens mindestens einen Optiker, bei dem man noch (oder wieder?) Brillen bekommt, die nahe an einer Schädelvollverglasung sind.

    Zur Begriffsablehnung:
    Ich lehne nicht unbedingt den Begriff an sich ab, sondern den Effekt, den er haben kann und die teilweise absurden Vorstellungen die damit verknüpft sind und die mit mir gar nichts zu tun haben. Ich habe nichts dagegen, wenn mich jemand „Gothic“ zuordnet, aber ich tue es eben nicht selber.

    Mir ist es lieber, wenn mein Gegenüber sich mit mir auseinandersetzt und dann einen Begriff aus dem Hut zaubert, als dass ich einen Begriff verwende, und mein Gegenüber dann plötzlich Dinge über mich „weiß“ und denkt, die vielleicht gar nicht zutreffen. Und gerade „Gothic“ eignet sich da meiner Erfahrung nach sehr gut als Verwirrungsstifter.

    Von daher finde ich insbesondere diese Episode des Gothic Friday mit den unterschiedlichen Einstiegsgeschichten sehr interessant und wichtig.

  8. Hatte ich eigentlich erwähnt das ICH der größte Depeche Mode Fan bin? Nichts desto trotz eine ausgezeichnete Idee für einen Artikel zum Szeneeinstieg. Deine ursprüngliche Brille übrigens: Hammer 🙂 Sowas bekommt man heute bestimmt nicht mehr. Darüber hinaus bin ich immer wieder fasziniert über welche Netzwerke man Gleichgesinnte findet, da soll noch einer behaupten XING wäre unseriös.

    Ich sitze gerade vor dem Ende meines Beitrags und stolpere über eine ähnliche Begriffsablehnung wie r@zorbla.de – Gothic wollte ich nun wirklich nicht genannt werden, heute lebe ich jedoch damit und möchte auch die Schublade, in die mich mein Gegenüber einsortiert, nicht versauen. Soll er mich einordnen wo er möchte. „Gothic“ zu sein ist überhaupt nicht schlimm und beißt auch nicht – so jedenfalls meine Erfahrung.

    Aber diese Interview-Sache: Shan, eine Wahnsinns-Idee und eine grandiose Umsetzung von euch beiden!

  9. Ach, lang erwartet und da ist das Interview mit dem legendären r@zorbla.de im Gespräch mit der bezaubernden Shan Dark 😀

    Echt super,
    ich werde mich lange an diesen Mittwoch im Januar 2011 erinnern.

    LG 1984maverick

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