Voodoo in Schottland?

Das Rätsel der Puppensärge von Arthur’s Seat

Nicht allzu vielen dürfte bekannt sein, dass Edinburgh rund um einen Vulkan erbaut ist. Nur knapp 1,5 km vom Stadtzentrum entfernt liegt Arthur’s Seat – einer der sieben Hügel, auf denen die schottische Hauptstadt erbaut wurde. Er ist die erloschene Lavakuppel des Vulkans und knapp über 250 Meter hoch. Zugleich ist Arthur’s Seat ein beeindruckender Naturpark mitten in der Stadt. Unverbaut, mit stillen Lochs, die weite Ebene im Krater mit Parks, Geh- und Wanderwegen durchzogen. Von seinen Flanken hat man eine prachtvolle Sicht über die Stadt.
Doch Arthur’s Seat ist sogar noch ein bißchen mehr. Hier entdeckte man ein mysteriöses und bis heute einzigartiges Rätsel der schottischen Geschichte.

Es war an einem Junitag des Jahres 1836, an dem fünf Jungen am Arthur’s Seat auf Kaninchenjagd gingen. An einer Bergflanke entdeckten sie ein Kaninchen und versuchten es zu fangen – ohne Erfolg. Das Tier war zwischen ein paar Schieferplatten verschwunden. Als die Jungen den Kaninchenbau suchten und dazu ein paar dünne Schieferplatten zur Seite schoben, entdeckten sie eine kleine Höhle. Darin hockte nicht das Kaninchen – sondern 17 Särge. Winzig kleine Särge mit Figuren darin. Sie waren in 2 Ebenen mit je 8 Särgen übereinander gestapelt und obendrauf – auf der 3. Ebene – stand ein einzelner Sarg, der siebzehnte. Jeder war etwa 10 Zentimeter lang und keine zwei Zentimeter hoch. Die darin liegenden Puppen waren aus Kiefernholz geschnitzt und trugen alle unterschiedliche, genähte Kleider aus Stoff.

Die acht verbliebenen Särge von Arthur's Seat sind heute im National Museum of Scotland in Edinburgh.

 

Was mit dem Fund geschah, dazu gibt es kaum Aufzeichnungen und die wenigen Überlieferungen unterscheiden sich in ihrer Aussage stark. Interessant war, dass sich die Särge jeder der drei Ebenen zum Zeitpunkt ihres Fundes in einem anderen Zustand befanden. Das weist auf verschiedene Zeitpunkte der ‚Einlagerung’ in der Höhle hin. Während die Särge in der untersten Ebene bereits ziemlich vom Zahn der Zeit zerfressen und zerstört waren, seien die acht in der mittleren Ebene noch besser erhalten gewesen und der oberste Sarg schien beim Fund 1836 sogar noch jüngeren Datums zu sein. Damals war man ratlos über die Herkunft, die Motivation und den Grund der Puppensärge. Zeitgenossen glaubten am ehesten an Objekte für ‚witchcraft’, die in ein unbekanntes, kultisches Ritual eingebunden gewesen waren. Gab es so etwas wie Voodoo in Schottland? War es ein Altar des Todes?

Einen möglichen Hinweis gibt die Anzahl der Särge. 17 Stück – das erinnert an die sogenannten West-Port-Morde von Burke und Hare. Möglicherweise hatte jemand die Opfer symbolisch mit den Puppen in den Särgen zu Grabe getragen. Eine Vermutung, die Sinn macht, den für die strenggläubigen Schotten jener Zeit war die Vorstellung fürchterlich, am jüngsten Tag nicht auferstehen zu können, weil der Körper zu Lebzeiten von Anatomen zerstückelt wurde.

War es gar William Burke selbst, der sie hergestellt hat – als ein Manifest seiner mörderischen Arbeit? Oder wollte er damit seine Schuld lindern? Vielleicht war es auch jemand, der Burke und Hare kannte – Dr. Knox oder einer seiner Schüler?

Die mysteriösen Puppensärge waren lange Zeit in der Obhut eines privaten Sammlers und gelangten erst 1901 in den Besitz des National Museum of Scotland. Und erst in den frühen 1990ern untersuchten zwei Mitglieder des „Old Edinburgh Club“ die mysteriösen Miniaturen aufs Gründlichste: Allan Simpson, der frühere Präsident der Royal Scottish Society of Arts, und Samuel Menefee von der University of Virginia. Sie veröffentlichten ihre Erkenntnisse 1994 mit dem Titel „The West Port murders and the miniature coffins from Arthur’s Seat“ in der 3. Ausgabe des Book of the Old Edinburgh Club.

Simpson & Menefee analysierten die Puppen und die Särge getrennt. Sie stellten fest, dass bei den Särgen die Verzierung mit verzinntem Eisen auffällig sei, wie es damals häufig in Schuhschnallen von Schuhmachern verwendet wurde. Somit konnten die Särge auch von solchen gemacht worden sein. Die Särge selbst seien wiederum recht „grob“ geschnitzt, also nicht mit Werkzeugen, die ein Tischler/Schreiner genutzt hätte. Noch dazu seien die Särge auf zwei unterschiedliche Arten geschnitzt, so dass Simpson & Menefee vermuteten, dass sie zumindest von zwei Personen mit verschiedenen Herangehensweisen erschaffen wurden.

Die Puppen ähneln sich sehr und wurden nicht als Individuen erschaffen. Wohl seien sie auch nicht als künftige Insassen für die Särge geschnitzt worden, dafür stehen sie zu aufrecht und könnten von ihrer Form eher ‚Mitglieder’ einer Holz-Soldatenarmee gewesen sein. Auch haben „Leichen“ keine offenen Augen, wie es bei jeder dieser Puppen der Fall ist. Das Entstehungsdatum der Puppen schätzen Simpson & Menefee auf die Zeit um 1790. Letztlich deuten jedoch ihre ‚Kleider’  bzw. die Stoffe, die dafür verwendet wurden, auf ihr Begräbnis in den Särgen um das Jahr 1830 hin. Denn bei den Stoffen wurde dreilagiger Baumwollfaden verwendet, der definitiv erst nach 1812 hergestellt wurde. (Quelle: Mike Dash, The Charles Fort Institute)

Die Puppen wurden also erst aufgrund eines prägenden Ereignisses „beerdigt“. Eines Ereignisses mit 17 Toten, das in oder um Edinburgh zwischen 1820 und 1830 stattgefunden hat. Eine Verbindung zu den West-Port-Morden von Burke & Hare lag auch für Simpson & Menefee nahe – aber sie konnten sie nicht belegen. Im Gegenteil wiesen sie auch noch darauf hin, dass alle Puppen Hosen tragen, obwohl die meisten der von Burke und Hare getöteten Opfer weiblich waren. Eigenartig. Da die Kleider extra für die Puppen genäht wurden, wäre es dann doch ein Leichtes gewesen, diesen statt Hosen einfache Kleider oder Röcke zu verpassen? Vielleicht war es doch ein anderes Ereignis, das hier nachgestellt wurde, ein Schiffsunglück vielleicht mit 17 toten Seemännern?

2005 stolperte ein Fernsehteam des National Geographic Channel zufällig über die mysteriösen Arthur’s Seat Särge und versuchte, die Theorie, dass Burke die ‚Murder Dolls’ selbst erstellt hatte, zu beweisen. Daher beauftragten sie Mike Barber, Leiter des DNA-Spezialistenteams der Forensischen Abteilung in Wetherby, Yorkshire mit einer DNA-Analyse der Spuren an den verbliebenen acht Puppen mit denen von Burkes Skelett. Leider ohne Erfolg. Was allerdings nicht verwunderlich war, denn Barber hatte schon von vornherein begründete Zweifel an den Erkenntnissen dieser Analyse:

„It sounded really interesting, although I told them right from the start that the chances of us being able to find DNA linking Burke with the dolls were very, very small because DNA degrades over time and these dolls have also been handled by lots of people over the years leaving their DNA traces as well.

„And the museum wouldn’t let us take the kind of samples which would be most likely to bring results because they would damage the dolls.“ (Quelle: www.scotsman.com)

So bleiben die kleinen Särge von Arthur’s Seat bis heute ein Rätsel.
Vielleicht wurden sie auch von Kindern erschaffen, die damit ‚Burke & Hare‘ nachgespielt hatten. Einfach um das Geschehene mit wohligem Gruseln zu verarbeiten? So wie in dem alten Abzählreim jener Zeit:

Burke’s the butcher, Hare’s the thief,
Knox the man who buys the beef

Burke ist der Metzger, Hare ist der Dieb,
Knox ist der Mann, dem das Fleisch zu kaufen blieb

Was immer es war, wofür sie auch immer gedacht waren – die kleinen Särge mit ihren Insassen bewahren ihr Rätsel gut. Und sie haben es wohl mit ins Grab genommen…

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Fotos: National Museum of Scotland und The Charles Fort Institute

Riesiges DANKE an Josh Wittmann für die sachdienlichen Hinweise zu den Puppensärgen von Arthur’s Seat und die Unterstützung bei diesem Artikel.

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3 Kommentare zu „Voodoo in Schottland?“

  1. Interessante Fortsetzung. Da schlägt die Phantasie Purzelbäume. Haben die Jungs die Wahrheit gesagt? Haben sie vielleicht jeder einen Puppensarg als Andenken mitgenommen, oder waren es tatsächlich genau siebzehn Särge? Hat jemand die verwitterten Puppen vor Jahren irgendwo ausgegraben und dann mit den neueren gemeinsam wieder bestattet? Wusste vielleicht noch jemand von den Morden? Oder handelt es sich um eine völlig andere Geschichte, die sich nur zufällig im gleichen Zeitraum abspielte?

    Ein herrlich ungelöstes Rätsel, danke.

    1. @Sabine: Da hast Du allerdings recht – alles oder zumindest vieles ist denkbar bei der Geschichte. Der erste Bericht in The Scotsman im Juli 1836 berichtet sogar, dass die Jungens sich direkt nach dem Fund gegenseitig mit den Särgen beworfen hätten, weil sie sie als nutzlose Kleinigkeiten ansahen. Wodurch eben auch einige davon zerstört wurden. Dass sich jeder einen eingesteckt hat, bezweifle ich persönlich, weil dann wirklich jeder der fünf „dicht halten“ musste. Und dafür sind es aus meiner Sicht dann doch zu viele – einer plappert immer. 😉 Andere Zeitungsartikel erwähnen die Jungs gar nicht und generell ist nur sehr wenig dazu aufgeschrieben bzw. erhalten.

      Hat jemand die verwitterten Puppen vor Jahren irgendwo ausgegraben und dann mit den neueren gemeinsam wieder bestattet?
      Das könnte gut sein, interessante Idee. Man weiß ja nicht, wie stark sich die Särge in den Ebenen vom Alter und der Verwitterung her unterschieden. Aber es muss wohl doch beachtlich gewesen sein, so dass eine natürliche Verwitterung aufgrund der Tatsache,dass die unteren Särge auf dem Boden standen, Wasser zogen etc. eigentlich ausfällt. Dann wohl eher Dein Ansatz…

      @Karnstein: Stimmt, man könnte gut einen Gruselthriller damit auftakten 🙂 Ich hoffe, dass hier endlich mal ein fähiger Regisseur und Filmproduzent mitliest, der aus Burke & Hare und den Puppensärgen einen gescheiten Leinwandgrusler verzapft. Ich schreib auch das Drehbuch! *lach*
      Ausgegraben hat die Story diesmal Josh Wittmann, der darauf bei seinen Recherchen zu Burke & Hare gestoßen ist.

  2. Meine Güte ist DAS schräg… das klingt wie die Prämisse eine Gruselfilms, wirklich faszinierend. Wo gräbst du solche Sachen nur immer aus? (Ja, die Formulierung ist pure Absicht ^^)

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