Kopfweg

Wer hat schon nicht mal den Kopf verloren? Besonders Frauen sagt man diese besondere Eigenschaft nach – speziell in Beziehungsfragen soll dies des öfteren vorkommen. Bei Männern ist das nicht so stark ausgeprägt. Allerdings wenn, dann ist es meist ein Vorgang mit gravierenden Folgen.

Aber abgesehen von sprichwörtlichen Wortspielereien ist das Verlieren des Kopfes eine Angelegenheit, die in vergangenen Zeiten des öfteren der Fall war. Ganz real und mit garantierter Todesfolge. Anfangs noch mit mythischem Hintergrund, als Kopfjäger damit den Geist eines Feindes einfangen wollten. Oder als besonderes Opfer für die verschiedensten Götter. Im alten Mexiko verloren Ballspieler ihren Kopf wenn sie das Spiel verloren, im alten England verloren auch Königinnen ihren Kopf, wenn sie nicht für den entsprechenden Thronfolger sorgten konnten, in deutschen Landen hieb man mit Vorliebe gehobenen Bürgern oder unliebsamen Adeligen den Kopf ab und in Frankreich mutierte das ‚Kopf ab‘ zum begleitenden Schauspiel für Bürgerinnen, die währenddessen die Wartezeiten mit Stricken überbrückten. Und auf Papua Neuguinea war das Abtrennen und Präparieren des Kopfes eines Feindes, den man zuvor vom Leben zum Tode befördert hatte, bis in unsere Tage eine überaus beliebte Freizeitbeschäftigung.

Aber einem Toten den Kopf abzutrennen um ihm (!) damit seine besondere Verehrung zu zeigen und damit dessen Genialität beweisen zu können, das ist schon etwas besonderes. So geschehen im biedermeierlichen Wien des Jahres 1809.
Napoleon führte Krieg mit den Österreichern und residierte in der Kaiserstadt. In den Vororten Wiens tobten noch Kämpfe, die Franzosen brauchten Quartiere und Dinge des täglichen Bedarfs. Also wurden Häuser beschlagnahmt, die Bewohner zur Versorgung der Soldaten gezwungen und so ganz nebenbei verschwand auch so manches edle Stück der Wiener in den Taschen der Soldaten.
Es waren unruhige Zeiten im Mai des Jahres, in denen ein 77-jähriger Mann mit dem Tode rang. Und dieser Mann war nicht irgendwer. Der berühmteste Komponist seiner Zeit, ein Genie der Musik, weltbekannt und geschätzt – Franz Joseph Haydn [1].

Franz Joseph Haydn (1732 – 1809)

Kurioserweise war dieser Joseph Haydn keiner, der mit elegantem Gehabe und Eitelkeit in den Salons des Adels und der gehobenen Bürgerschaft Hof hielt. Haydn war ein bodenständiger Mensch mit burgenländisch-kroatischen Wurzeln, religiös und er, der in allen Fürstenhäusern Europas willkommen gewesen wäre, blieb Zeit seines Lebens als Kapellmeister einem regionalen Fürstengeschlecht, den Esterhazys verbunden.

Am 31. Mai des Jahres 1809 verließ er diese Welt und wurde, wie damals üblich am Tag darauf beigesetzt. Keineswegs mit großem Pomp, denn im kriegsgebeutelten Wien blieb dafür wenig Zeit. Nur 15 Trauergäste folgten seinem Sarg, der auf einem kleinen Ortsfriedhof bestattet wurde. [2] Eigentlich hätte sich der gute Man seine ewige Ruhe redlich verdient, aber was wenige Tage nach seiner Beerdigung den Anfang nahm sollte Haydn beinahe 150 Jahre lang im wahrsten Sinn des Wortes seinen Kopf kosten.

In den ersten Jahren geisterte eine überaus obskure Lehre durch halb Europa. Der deutsche Arzt und Anatom Franz Joseph Gall war nach Wien übergesiedelt. Er begründete mit der Phrenologie zwar die Anfänge der Gehirnforschung, andererseits sollte die von ihm entwickelte Kraniometrie noch Jahrhunderte später böse Folgen haben. Aber alles der Reihe nach.

Darstellung der Charakteranlagen und Fähigkeiten gemäß der Lehre der Phrenologie

Gall glaubte anhand der Schädelform und den Ausformungen speziell der das Gehirn umgebenden Knochen auf den Charakter und das Wesen des Betreffenden schließen zu können. Er sammelte Schädel, zumeist jene von Irrsinnigen und Verbrechern und ganz besonders jene die irgendwelche Missbildungen auswiesen. Daneben sammelte er Porträtbüsten bekannter Zeitgenossen.Gall hielt sich dabei nicht immer an (auch für die damalige Zeit geltende) wissenschaftliche Prinzipen – er veranstaltete Privatvorlesungen in seiner Wohnung und verband diese mit obskuren, okkulten Handlungen. Dies brachte ihm eine große Anhängerschaft ein. Besonders in halb gebildeten Kreisen. Die Auftritte des Arztes gingen sogar dem österreichischen Kaiserhaus zu weit und so ließ Kaiser Franz II. die Tätigkeit des Arztes als ‚wider die Moral und Religion‘ unterbinden. So geschehen 1801. Gall blieb zwar noch einige Zeit in Wien [3], verlegte aber seine Tätigkeit 1805 nach Paris. Dort bekam er umgehend die gleichen Probleme und erregte das Missfallen Napoleons.

Erstaunlich war aber der ungeheure Fanatismus, mit dem die Anhänger Gall’s dessen Ideen weitertrugen.
Auch der Privatsekretär des Fürsten Esterhazy, Josef Carl Rosenbaum, war ein glühender Verehrer der Lehren Galls. Ebenso wie zwei Wiener Magistratsbeamte und Johann Nepomuk Peter; seines Zeichens „Verwalter des K.K. Niederösterreichischen Provinzial-Strafhauses“.

Der Gedanke, die Genialität Haydns an seinem Schädel zu beweisen und damit auch die Lehren des Anatomen Gall zu bestätigen, war überaus reizvoll. Und so schritt man zur Tat. Der Totengräber des Hundsturmer Friedhofes wurde bestochen und wenige Tage nach der Beerdigung grub dieser den Leichnam noch einmal aus und trennte den Kopf ab.
Über den weiteren Ablauf der Geschichte weiß man sehr gut Bescheid, denn Rosenbaum führte penibel Tagebuch:

„… Es roch heftig. Als ich den Pack (den in Tücher eingewickelten Kopf; Anm. des Autors) im Wagen hatte, musste ich mich übergeben. Der Gestank ergriff mich zu sehr. Wir fuhren ins allgem. Spital, ich blieb bei der Securierung (das Entfleischen des Kopfes; Anm. des Autors). Der Kopf war schon ganz grün, aber noch sehr kennbar. Ewig bleibt mir der Eindruck, welcher dieser Eindruck auf mich machte….“

Rosenbaum vermaß den Kopf nach dem Gall’schen System und entdeckte prompt an einer Ausbuchtung [4], dass Haydn einen besonderen ‚Thonsinn‘ besessen hatte.
In seiner Wohnung bekam der Schädel einen Ehrenplatz und vermutlich wäre der Diebstahl nie aufgefallen, wenn nicht – ja, wenn nicht 10 Jahre nach dem Tod des Künstlers, Fürst Esterhazy in seinem Schloss in Eisenstadt Besuch bekommen hätte.

Das Objekt der Begierde

Der englische Prinz Friedrich von Cambridge machte dem Fürsten seine Aufwartung und beneidete ihn, jahrelang den berühmtesten Komponisten seiner Zeit in seinem Hause gehabt zu haben. Peinlich, denn der Fürst hatte Haydn…. vergessen. Umgehend ordnete er eine Exumierung an, um die Gebeine von Wien nach Eisenstadt zu überführen. Als der Sarg geöffnet wurde, staunten die Anwesenden nicht wenig. Statt des Kopfes lag nur die Perücke Haydns im Sarg. Fürst Esterhazy übergab den Fall der Polizei und Rosenbaum, bei der Graböffnung ebenfalls anwesend, notierte in seinem Tagebuch, dass es ihm diebische Freude bereitet hätte, den Fürsten derart zu düpieren.

Schon bald führte die Untersuchungen der Polizei zum Gall-Verehrer Josef Carl Rosenbaum. Bei einer Hausdurchsuchung soll sich folgende Anekdote abgespielt haben, die allerdings historisch nicht mit Sicherheit belegt ist. Rosenbaum soll es nicht gelungen sein, den Schädel vor der Untersuchung in Sicherheit zu bringen. Als die Beamten die Wohnung betraten, soll sich die Frau Rosenbaums, eine damals bekannte Opernsängerin, mit dem Schädel ins Bett geworfen haben. Als die Beamten das Bett untersuchen wollten und die Frau aufforderten aufzustehen soll die bühnenerfahrene Frau den Beamten ein Zitat aus dem Alten Testament entgegen geschleudert haben: „Mein Herr! Zürne doch nicht, dass ich nicht aufstehen kann vor dir, denn es geht mir nach der Weiber Weise…“
Der bühnenreife Auftritt zeigte Wirkung. Das Bett wurde nicht untersucht.

Um die Polizisten zu beruhigen, übergaben die Wiener Kopfjäger den Behörden einen anderen Schädel. Doch der Schwindel flog auf. Ein Anatom erkannte rasch, dass es sich dabei um den Schädel eines jungen Mannes handelte. Mit vielen Entschuldigungen und Ausreden wanden sich Rosenbaum und Peter aus der Sache und übergaben einen anderen Schädel. Diesmal war es ein Greis. Der Polizei war es recht. Auch wenn nicht alle Verdachtsmomente ausgeräumt waren. Der Fall überforderte die Beamten und mit einem ‚passenden Kopf‘ konnten sie den Fall endlich abschließen.

Mit den anderen Gebeinen machte sich nun der fremde Kopf auf die Reise nach Eisenstadt. In der idyllischen Bergkirche der Stadt wurde Haydn nun bestattet. Ohne große Feier. In aller Stille. Die peinliche Situation am Friedhof lag dem Fürsten Esterhazy noch immer im Magen.

Währenddessen ruhte Haydns Kopf auf einem kleinen samtverbrämten Seidenkissen in der Wohnung des Carl Josef Rosenbaum. Das tat er eine ganze Weile. Erst als Rosenbaum im Sterben lag, überkam ihn so was ähnliches wie ein ’schlechtes Gewissen‘ und er vererbte das edle Stück seinem Freund Peter mit der Auflage, den Schädel in weiterer Folge an den Wiener Musikverein weiter zu geben. Doch was in den folgenden Jahrzehnten folgte, war so etwas wie ein Ping-Pong mit einem Prominentenschädel. Um nicht kompromittiert zu werden gab ihn Peter an seinen Leibarzt weiter. Der wiederum ließ ihn einem anderen Kollegen zukommen. Als dieser starb, waren seine Erben plötzlich Schädelbesitzer und erst diese übergaben das edle Stück dem Wiener Musikverein. Der bewahrte den Kopf in einem kleinen Museum auf und war sehr stolz darauf. Während all dieser Jahre musste der gute Haydn mit einem Ersatzschädel in seiner ewigen Ruhe zurechtkommen.

In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es dann wieder Bestrebungen, den Schädel seinem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben. Und es klappte. Allerdings nur fast. Das Haus Esterhazy hatte mit großem finanziellen Aufwand in der Bergkirche ein Mausoleum einrichten lassen. Die Feier war schon geplant, die Gäste eingeladen, da überlegte es sich der Musikverein anders und wollte plötzlich seinen kostbaren Schädel nicht mehr hergeben. Die Begründung: Gesetze verbieten den Transport von Leichenteilen über die Stadtgrenzen von Wien hinaus. Und man könne doch nicht…. Es war eine mehr als eigenartige Begründung. Gerüchteweise soll es um Geld gegangen sein. Die Vereinsmitglieder wollten sich das edle Haupt abkaufen lassen.

So sollte es noch einen Krieg und 9 weitere Jahre dauern, bis Joseph Haydn wieder zu dem Kopf kam, den er zeit seines Lebens besessen hatte. Am 5. Juni des Jahres 1954, nach ganzen 145 Jahren und langen Verhandlungen legte man den Kopf sanft zu den anderen sterblichen Überresten dieses wohl größten Sohnes des Burgenlandes. Joseph Haydn war heimgekehrt und das Burgenland, Österreichs jüngstes Bundesland, feierte.

 

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  1. [1]Franz Joseph Haydn war neben W.A. Mozart und Beethoven der bedeutendste Vertreter der sog. Wiener Klassik. Kapellmeister und Komponist schuf ein überaus umfangreiches Werk, das 108 Sinfonien, 19 Opern, 2 Oratorien, 83 Streichquartette, 2 Dutzend Konzerte für andere Instrumente und ca. 200 kirchenmusikalische Werke umfasst.
  2. [2]Dieser Friedhof, der sog. Hundsturmer Friedhof, lag einst in der Wiener Vorstadt. Er ist heute der Haydnpark in Wien. Im Park ist heute noch, neben anderen Grabsteinen jener Zeit, in einer Nische die Grabtafel Haydns zu sehen.
  3. [3]Die Schädelsammlung des Franz Joseph Gall blieb erhalten und ist heute in Baden bei Wien, im sog. Rollettmuseum zu besichtigen.
  4. [4]Haydns Kopf wurde vor seiner endgültigen Grablegung medizinisch untersucht. Diese Ausbuchtungen waren Nasenpolypen.

7 Kommentare zu „Kopfweg“

  1. @Josh
    Danke für den Linktipp, die Seite kannte ich bis jetzt noch gar nicht! Eine verlockende Sache zum erschwinglichen Preis (im Gegensatz zu den medizinischen Repliken). Mir gefällt Bela Lugosis Variante mit den spitzen Ohren – den kann man sogar noch selbst bemalen 😉 Ist auf jeden Fall eine coole Deko!

  2. Interessant – und endlich können die bleichen Knochen nach schlappen 145 Jahren bis in alle Ewigkeit Wiedervereinigung feiern. Bei der Nitribitt hat man nur 50 Jahre mit der Kopfbeisetzung gewartet. Alles im Namen der Wissenschaft.

    Wie hoch ist eigentlich die Dunkelziffer der Ohne-Kopf-Beigesetzten? Bestimmt ziemlich hoch, wenn sich jeder so ein schönes Souvenir seines Idols ausbuddeln und auf´s heimische Samtkissen legen würde. Da käme man mit der Schädel-Reproduktion in China gar nicht mehr nach 😉

    1. Madame, wie schon das alte Sprichwort der Totengräber sagt:
      Ob Mann, ob Frau, ob reich und edel –
      das schönste Souvenir, das ist ihr Schädel….

      War eine Zeitlang sehr verbreitet, sich einen berühmten Kopf anzueignen.
      ob in China diesbezüglich reproduziert wird, das entzieht sich allerdings meiner Kenntnis…:-)

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