Der Fluch des Abnormalen

Gerade in diesen enthaarten Zeiten würden wir einem Menschen wie Andrian Jeftichjew auf offener Straße vermutlich mit Entsetzen begegnen. Ein Mann mit kompletter Gesichtsbehaarung wie ein Hund hätte auch in gegenwärtigen Zeiten nicht viel Entgegenkommen zu erwarten.

Heute wollen viele „anders“ sein. Schräger, krasser, abnormaler – es muss immer extremer werden, habe ich oft den Eindruck. Auffallen um jeden Preis, z.B. durch teure und teilweise in meinen Augen bekloppte Bodymodification (=Körperveränderung). Die Palette der mittelpunktigen Bemühungen reicht von Ganzkörpertätowierungen über Titan-Hörner und Zahnverspitzung wie bei „Vampire Woman“ Maria Jose Cristerna bis hin zu den Bagelheads. Aber es ist eine Sache, ob man sein Aussehen selbst(bewusst) bestimmen und verändern kann. Es ist eine andere, ob eine Abnormalität gegeben ist.

Denn eine Krankheit oder eine Behinderung, die einen von Geburt an so andersartig macht, dass man damit ungewollt immer und überall auffällt, ja sogar so entstellt ist, dass man als „Missgeburt“ gilt –  die will (natürlich) niemand haben. Abgesehen von wannabes/pretenders.

Die 4-teilige HBO-Reportage „Some call them FREAKS“ berichtet ausführlich und mit seltenem Videomaterial über Menschen, die bereits mit dem Trauma der Abnormalität geboren wurden oder bei denen sich diese recht schnell danach entwickelt hat. Für die ihr Körper ein Gefängnis war, aus dem sie gern ausgebrochen wären. Freaks, die am liebsten normal geboren wären und ein Leben wie jeder andere gelebt hätten statt in Zirkusshows vorgeführt zu werden.

Freak-show-Side-show-1941

HBO widmet die Reportage von 1982 den „special few“, die den Mut hatten für ein normales Leben im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu kämpfen. Noch Ende des 19. Jhd. wurden Manche von ihnen wie Tiere in Käfigen gehalten oder üblicherweise in Sideshows („Freak Shows“) und Zirkus-Schaubuden wie in einem (Menschen-)Zoo präsentiert. Fakt ist aber auch: meist war das für diese Menschen der einzige Weg zu überleben – und für einige wenige Ausnahmen – eine Menge Geld zu machen.

Bild 16

Damals machte man sich über Menschen mit Abnormitäten lustig oder man gruselte sich vor ihnen. Ab und zu wurden sie auch geschlagen und misshandelt. Wehren konnten sie sich kaum. Nur in der Gruppe, wie man im genialen Film „Freaks“ von Tod Browning sehen kann – als Einzelner hatte man gegen die Gesellschaft keine Chance. Wie Joseph Merrick, der Elefantenmensch, der mehrfach von der Polizei zusammengeschlagen aufgesammelt wurde. Sein Anblick war so verzweifelnd schrecklich, dass er sich zu seinem eigenen Schutze komplett vermummte. Oft hörte man die Leute „Monster“ raunen.

Manche schrieben den Andersartigen auch Zauberkräfte zu. Im Grunde aber lebten die meisten Freaks ein Außenseiter-Leben im Zirkus und nur ganz Wenige verdienten gut Geld. Die Anerkennung als Menschen „wie Du und ich“ wurde ihnen verwehrt. Reduziert auf Schauobjekte galten sie ‚unsereins’ nicht als ebenbürtig. Sie waren human oddities, das Wort sagt schon alles. Am leichtesten konnten sich noch die Kleinwüchsigen – niedlicherweise „Zwerge“ oder „Liliputaner“ genannt – in die Herzen der Menschen spielen. Und das schon seit Jahrhunderten an Königshäusern in der ganzen Welt. Sie waren ja so kindlich süß und harmlos! Schwerer hatte es da Robert Pershing Wadlow, der größte Mann der Welt,  selbst wenn er als „der sanfte Riese“ bekannt war. Ihn lernen wir in der ersten Folge von „Some call them Freaks“ kennen.

Die interessantesten Personen und ihre Geschichte habe ich hier für Euch aus dem Englischen übersetzt und mit ein paar Infos angereichert. In der Reportage seht ihr sie live und in Aktion.

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HBO-Doku „Some Call Them Freaks“ – Teil 1

Robert Pershing Wadlow – der größte Mann der Welt

Robert Wadlow mit seiner Mutter (Foto: Wikimedia Commons)
Robert Wadlow mit seiner Mutter (Foto: Wikimedia Commons)

Seit seiner Geburt wuchs Robert Wadlow jährlich 10 cm – und das unaufhaltsam. Er litt unter Hyperplasie der Hirnanhangsdrüse, die eine Überfunktion des Wachstumshormons verursacht. Im Alter von 10 Jahren war er bereits 1,82m. Er ging zu den Pfadfindern und wünschte sich mehr als alles andere wie die anderen Jungs zu sein. Aber für seine Größe war weder der menschliche Körper noch seine Umgebung ausgelegt. Robert Wadlow wollte Jurist werden und begann ein Studium. Doch bald wurde das unmöglich – nicht nur die Kugelschreiber und Schreibtische waren zu klein, sondern auch das Laufen machte ihm große Probleme, z.b. von einem Seminargebäude ins andere. Er wog knapp 200kg und seine Beinknochen drohten unter der Last zusammen zu brechen. Robert brach aufgrund der unpassenden Gegebenheiten das Studium ab und wollte danach einen Schuhladen (mit Übergrößen) eröffnen. Zur Finanzierung nahm er an Zirkusshows teil, aber er verkaufte seine Abnormalität nicht und bewahrte stets seine Würde. „He was as kind as he was tall – and the people loved him.“

An seinem 21. Geburtstag war er über 2,72m groß und wuchs noch immer, obwohl er jeden Tag betete, es möge aufhören. Wadlow wurde nur 22 Jahre alt und starb an einer Infektion in seinem Knöchel, den er sich angebrochen hatte. Heute wären die Ärzte in der Lage, nicht nur Robert vor dem Tode sondern auch vor dem Wachsen zu retten. Doch in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war sein Schicksal unausweichlich.

Chang & Eng – gaben den Siamesischen Zwillingen den Namen

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Siamesische Zwillinge gehören der Vergangenheit an – seit den 50er Jahren können sie meist erfolgreich getrennt werden. Die Bezeichnung aber geht auf die Brüder Chang & Eng Bunker zurück, die 1811 in Siam (heute: Thailand) geboren wurden. Als sie 10 Jahre alt waren, wurden sie in die USA gebracht und quasi über Nacht berühmt. Sie erwirtschafteten in Sideshows ein Vermögen von 60.000 $, kauften sich davon ein Grundstück und ließen sich dort mit 29 Jahren als Farmer nieder. Chang und Eng mussten den Nachnamen eines Freundes annehmen (Bunker), weil sie sonst nicht als Bürger zugelassen wurden in der Gemeinde. Bald heirateten sie die Töchter eines Farmers und erwogen eine Trennung ihrer Körper kurz vor der Heirat, die aber ihre zukünftigen Ehefrauen wegen der unkalkulierbaren Risiken ablehnten. Zu viert bezogen sie ein großes Haus mit zwei getrennten Wohnungen und verbrachten 3 Tage in der einen, 3 Tage in der anderen Wohnung. Die Bunkers zeugten 21 Kinder und bis heute soll es 1.000 Nachfahren der wohl sehr fruchtbaren, siamesischen Zwillinge geben.

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HBO-Doku „Some Call Them Freaks“ – Teil 2

Daisy & Violet Hilton – The Hilton Sisters

Die schönsten siamesischen Zwillinge waren vielleicht auch die unglücklichsten. Geboren 1908 in England, wurden Daisy & Violet Hilton von ihrer eigenen Mutter buchstäblich in die Sklaverei verkauft, als sie gerade mal 2 Wochen alt waren. Bereits im Alter von 3 Jahren wurden sie als „rare attractions“ in Sideshows gehandelt. So lernten The Hilton Sisters von Kindesbeinen an, wie man die Leute unterhält. Sie waren ebenfalls sehr erfolgreich und verdienten bis zu 5.000 $/Woche, noch bevor sie 21 Jahre alt waren.

Sie versuchten, wie normale Menschen zu leben. Violet verliebte sich in Maurice und wollte ihn heiraten. Doch diese Ehe sei gegen die Moral und öffentliche Ordnung – Violet wurde die Hochzeit verboten. Der Film „Chained for life“ (1951), der auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gedreht wurde, beschäftigte sich thematisch mit ihrer Trauer darüber, dass sie nicht normal leben können wie alle, ihnen bestimmte Möglichkeiten nicht gewährt wurden. Dieser Film beendete ihre Showbusiness-Karriere. Es war zuviel für das Publikum, die harte Realität zu ertragen. Sie konnten sich an den Auftritten der Hilton Sisters nicht mehr erfreuen ohne daran zu denken, dass sie unglücklich waren.

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HBO-Doku „Some Call Them Freaks“ – Teil 3

Lionel – The Lion-Faced Man

Stephan Bibrowsky, geboren in Polen 1890. Er litt an Hypertrichose, einer über das übliche Maß hinausgehenden Haardichte und Behaarung an sonst stets unbehaarten Stellen. Er war ein ausgezeichneter Zirkusdarsteller, doch die Menschen waren so gefangen genommen von seiner Erscheinung, dass sie seine kunstvolle Akrobatik gar nicht würdigen konnten. Als Stephan Bibrowski das realisierte, gab er dem Publikum, was es wollte und verdiente bald gute 500 $ pro Woche. Er trat fortan als „The Lion Man“ auf und präsentierte seine lange, blonde Körperbehaarung, gestaltete sein Gesicht zu einer Löwenmaske und tischte den Leuten das Märchen von seiner schwangeren Mutter auf, die während der Schwangerschaft einen Löwen gesehen und einen Schock davon getragen hätte – weshalb er nun so aussieht.

Julia Pastrana – Die Affenfrau / The Bearded Lady / The Ape Woman

Wer zu optimistisch unterwegs ist, was Menschen und ihre Absichten angeht, sollte sich die Geschichte von Julia Pastrana zu Gemüte führen.

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Sie war eine mexikanische Indianerin (1834-1860) und wurde oft als die „hässlichste Frau“ bezeichnet, die es je gegeben hat, aber sie hatte viele Talente. So sprach sie 3 Sprachen und konnte bezaubernd singen und tanzen. Damit wurde Julia international sehr berühmt und bald bekam ihr Manager Theodore Lent Angst, dass andere Showmaster sie abwerben würden. Er suchte nach einem Weg, sein ‚Kapital’ zu behalten und kam auf die Idee, sie zu heiraten. So konnte er sie ewig an sich binden. „He loves me for myself alone“, sagte (und glaubte) Julia am Morgen ihrer Hochzeit.

1860 erwartete Julia Pastrana die Geburt ihres Kindes in Moskau zusammen mit ihrem Mann. Sie hatte alles, was sie sich immer gewünscht hatte und führte ein nahezu normales Leben. Ihre größte Hoffnung war ein „normales“ Kind. Doch als die Hebamme das Baby in Händen hielt, sah der Kleine seiner Mutter sehr ähnlich und starb leider 35 Stunden nach seiner Geburt. Fünf Tage später folgte ihm Julia – mit nur 26 Jahren.

Ihr Ehemann Lent war verzweifelt. Julia – seine „Bank“ –  war nun geschlossen. Dann kam er auf eine makabre Idee und suchte den russischen Prof. Sokolow an der Moskauer Universität auf – einen Experten für Mumifizierung. Innerhalb von 6 Monaten ließ Sokolov Julia und ihr Baby als Mumien herrichten. Mit diesen im Gepäck tourte Lent ganz ungeniert noch weitere 20 Jahre (!) durch die Lande und präsentierte die Mumie seiner „Affenfrau“ und seines Sohnes stolz als „Darwins Missing Link“ (zwischen Affe und Mensch). Wer war nun hier das wahre Monster? 1880 bekam Lent endlich, was er verdiente. Es ereilte ihn der Wahnsinn und er starb bald darauf in einer Nervenanstalt.

Doch andere Showmaster aus Deutschland, Österreich und Norwegen kauften die beiden Mumien auf und tourten damit noch 100 Jahre (!) später auf Messen. Seitdem sind die Mumien verschwunden.

Nachtrag 28.02.2013 (danke an Manfred für den Link!): Die noch gut erhaltene Mumie von Julia Pastrana landete, nachdem man sie auf einer Müllkippe gefunden hatte, Anfang der 80er Jahre an der Universität in Oslo. Seither kämpft die mexikanische Künstlerin Laura Anderson Barbata um ihre Rückführung nach Mexiko – und war im Juni 2012 endlich erfolgreich. 150 Jahre nach ihrem Tod – am 12.02.2013 – wurde Julia Pastrana auf dem historischen Friedhof von Sinaloa de Leyva mit großem Ehrengeleit begraben und so fanden ihre Gebeine endlich Frieden in der Heimat. Wobei man nicht 100%ig weiß, ob es ihre Gebeine sind. Denn die norwegische Regierung bestand darauf, dass der Sarg von Julia Pastrana bei seiner Ankunft in Mexiko unter keinen Umständen geöffnet werden oder gar Fotos von ihrer Gestalt gemacht werden dürfen. Niemand soll sie noch einmal zur Schau stellen…

Tom Thumb – der kleinste Mann der Welt

Der große Showmaster P.T. Barnum & der kleine Große Tom Thumb
Der große Showmaster P.T. Barnum & der kleine Große Tom Thumb

„General Tom Thumb“ wog nur 15 Pfund und war mit 63,5 cm gerade mal so hoch wie ein Knie. Er war der kleinste Mann der Welt. Der berühmte Sideshow-Manager P.T. Barnum (Barnum & Bailey) lernte Tom bereits im Alter von 5 Jahren kennen. Er lehrte ihn singen, tanzen und mit dem Publikum zu scherzen. Zwischen den beiden entstand ein enges Band und ja, auch eine Freundschaft. Tom hatte riesigen Erfolg – die Shows mit ihm waren jeden Abend ausverkauft. 1844 fuhr Barnum mit Tom nach Europa. Der Zwerg sang sich in das Herz der jungen Königin Victoria. Sie lud die beiden ständig zu sich ein, überhäufte Tom mit Geschenken und Barnum mit Gold. So wurde Tom Thumb in England sehr berühmt. Lieder wurden über ihn geschrieben, Statuen von ihm und Barnum gebaut und in Schaufenster gestellt, in denen es Tom-Thumb-Puppen zu kaufen gab. Als Barnum für Tom eine zwergenhafte, wunderschöne Frau gefunden hatte, gab es in Toms Leben nichts mehr, was er sich noch wünschen konnte. Die beiden lebten glücklich zusammen bis Tom mit 45 Jahren starb. Seine Frau lebte bis ins (für Kleinwüchsige) hohe Alter von 78 Jahren und heiratete erneut. Trotzdem wollte sie neben Tom begraben werden. Auf ihrem Grabstein stand nur ein Wort: „Wife“.

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HBO-Doku „Some Call Them Freaks“ – Teil 4

Joseph Merrick – der Elefantenmensch

„Joseph Carey Merrick (* 5. August 1862 in Leicester; † 11. April 1890 in London), auch John Merrick genannt, wurde im Viktorianischen Zeitalter als Elefantenmensch bekannt.

Von Geburt an litt er unter schweren Deformationen seines Körpers, die seine Gestalt und sein Gesicht völlig entstellten. Er galt im viktorianischen Zeitalter als schlimmstes Beispiel für die krankhafte Deformierung des menschlichen Gesichts.“ (Quelle: Wikipedia)

Joseph Merrick litt unter dem Proteus-Syndrom, das einen Großwuchs und Wucherung von Haut, Knochen, Muskeln, Fettgewebe, Blut- und Lymphgefäßen verursacht. Außerdem können auch Tumore entstehen. Die Krankheit ist bis heute nicht heil- und auch nicht behandelbar. Betroffene wären und waren einem frühen Tode geweiht. In Joseph Merrick steckte ein intelligenter Geist und eine feinfühlige Person, verborgen in einem derart deformierten Körper, dass er von anderen nur wie ein Monster wahrgenommen und – bis auf die letzten 5 Jahre seines Lebens – auch so behandelt wurde. Er ist von allen die traurigste Person mit dem ausweglosesten Schicksal einer unheilbaren Krankheit. Merrick erstickte im Alter von 28 Jahren im Schlaf, als seine Halswirbelsäule durch das Eigengewicht seines überdimensionierten Kopfes einknickte. Er hatte nur ein einziges Mal wie jeder normale Mensch im Liegen geschlafen, was ihm sonst nur im Sitzen erlaubt war. Das bezahlte er mit dem Leben.

David Lynch erzählt in seinem Meisterwerk „Der Elefantenmensch (The Elephant Man)“ fast originalgetreu die Geschichte von John Merrick (wie er im Film heißt). Es ist ein völlig ‚untypischer’ Lynch-Film. Das ist gut so. Vielleicht ist es sein Bester. Und wer „Der Elefantenmensch“ gesehen hat, der wird ihn niemals vergessen. Und ich meine wirklich NIEMALS. Er geht einem derart nahe, dass es keine Schande ist, wenn auch Männer Taschentücher brauchen. Andersrum: Wem das Schicksal des Elefantenmenschen nicht nahe geht, der sollte sich  als stumpfer Holzklotz in der nächsten Sauna verbauen lassen.

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Ich bewundere den Mut dieser außergewöhnlichen Menschen sehr. Sie nahmen ihr Missgeschick und „turned it inside out, make it to work for them“, wie es in der Reportage heißt. Ich bin froh, dass die Gesellschaft ein Stück weit toleranter geworden ist, aber wie tolerant und hilfsbereit sie heute ist, das kann ich nur schwer zu beurteilen. Vielleicht ist es eher oberflächlich und mehr ein „Out of sight, out of mind“-Ding?

Die heutigen „Freaks“ findet man in YouTube, z.B. den bedauernswerten indonesischen „Tree-Man“ Dede (halb Mann, halb Baum) oder die Zwillinge Abigail and Brittany Hensel und auch einen modernen Elephant Man (den ihr selber googeln dürft, wenn ihr euch den Anblick geben wollt). Wer sich ein Bild machen will von der heutigen Reaktion auf diese ebenfalls mutigen Menschen, der sollte sich mal die Kommentare unter den YouTube-Videos zu Dede und den Hensel-Zwillingen durchlesen…
Demnach hat sich nichts, aber auch gar nichts geändert. Oder was meint ihr?

Mehr über Freak Shows, Schaubuden und Abnormitäten:

Lesetipp! PDF über Schaubuden und Sideshows früher – zum Download

Tumblr „Human Oddities“

 Bilder dieses Beitrages: alle lizenzrechtlich frei (public domain) via Wikimedia Commons

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16 Kommentare zu „Der Fluch des Abnormalen“

  1. Pingback: Spontis Wochenschau #01/2013

    1. Hi Andrew,

      danke für die Ergänzung der richtigen Quelle in Hubert’s Zitat – es war wirklich eine Kopie von Deiner Seite! Tut mir leid. Wie das heutzutage im Web so ist – ein Trauerspiel streckenweise… Ich habe den Link zu Deiner Seite korrigiert (Vertipper postkarten-archivE.de und funktionierte durch das „E“ nicht) und gleichzeitig einen Link zu der Unterseite über die Blazek-Zwillinge aufgenommen. Ich hoffe, das ist in Deinem Sinne.

      Viele Grüße
      Shan Dark

  2. Rosa und Josefa Blazek wurden 1878 in Böhmen geboren. Die beiden Schwestern waren am Kreuz- und Steißbein miteinander verwachsen. Wie viele siamesische Zwillinge, hatten sie völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, Rosa war gesprächig und witzig, während Josefa ruhig und introvertiert war. Sie traten unter anderem als Geigen-Duo in Ike Rose’s Royal Midgets fame Panoptikum in den USA auf. Am 20. Juli 1909 soll der Soldat Franz Dvorak die Nacht mit den Schwestern verbracht haben. Neun Monate später, am 16. April 1910 wurde in der Internationalen-Presse die Geburt eines Sohnes durch Rosa verkündet. Sohn Franzl tingelte mit Mutter Rosa und Tante Josefa zehn Jahre lang als „The son of two mothers“ durch Theater in Australien und den USA. Josefa Blazek starb am 30. März 1922, Rosa folgte zwölf Minuten später. Nach dem Tod der siamesischen Zwillinge in Chicago, zeigten Röntgenaufnahmen am 2. April 1922, daß Franzl nicht Rosas leiblicher Sohn gewesen sein konnte.

    1. Danke Dir, Hubert, für die interessante Story, von der ich auch noch nicht gehört hatte. Habe auch mal bisschen recherchiert: „Many historians and authors believe that the boy was nothing more than a well timed publicity stunt.“ (Quelle: The Human Marvels) So wird es wohl gewesen sein – er soll ursprünglich aus einem Waisenhaus stammen und es soll sogar die Idee der Schwestern gewesen sein, die damit ihren verblassenden Ruf aufgrund von schlechtem Management und Überpräsenz etwas aufpolieren wollten. Das tat niemandem weh – im Gegenteil, sicher war die Berühmtheit für Franzel besser als das Waisenhaus.

  3. Mir geht der Artikel jetzt schon seit Tagen im Kopf rum. Und ich muss einfach mal sagen, dass mich das Thema krass an meine Grenzen gebracht hat und ’ne harte Nummer ist.

    Ein inzwischen verstorbener lieber Kumpel litt schwach an diesem Riesenwuchs, insofern ist es jetzt auch nicht so, als wäre ich real in meinem Umfeld noch nie damit in Berührung gekommen… Aber wenn ich unabhängig davon so distanziert darüber nachdenke, wird mir schon bisschen anders…

    Der erste Impuls war nämlich erstmal Ablehnung und Scheu, bis dann irgendwann die gute Kinderstube an den Drücker kam. Meine Großeltern sind in Sachen „Offenheit“ richtige Vorbilder für mich; man muss etwas nicht akzeptieren und auch nicht tolerieren, trotzdem sollte man die Größe haben können, andere Menschen so sein zu lassen, wie sie sind (so hat’s die Oma gesacht, mit der ich übrigens auch darüber gesprochen habe ;)). Na ja, und dann kamen da auch die Erinnerungen an Marc wieder, der einfach eine Seele von Mensch war (bloß eben mal locker noch einen halben Meter Größer als ich)…

    Bei mir schütteln sich bei dem Thema auf jeden Fall der von Rosenblatt angesprochene Steinzeitmensch und sein Nachkomme die Hände, aber ein anrührendes und aufreibendes Thema ist es trotzdem. Vielleicht geht mir da auch nicht mal so die Abnormität unter die Haut, sondern dass Menschen echt ekelhaft zueinander sein können… da frag ich mich schon, wer eigentlich das Monster ist.

    1. Danke Dir für Deinen ehrlichen Kommentar, liebe Katharina. Auch wenn Dich der Artikel aufgewühlt hat – die Konfrontation mit solchen Dingen bringt einen auf jeden Fall weiter. Mir ging es jedenfalls so.

      Das Thema ist echt heavy, ich weiß. Wenn man dann noch so einen persönlichen Bezug dazu hat wie Du, tut es sicher sogar etwas weh. Man weiß einfach nicht so recht, wie man mit derartiger Andersartigkeit richtig umgehen soll (gebe Rosenblatt hier auch recht). Es gibt auch Berührungsängste und die Angst, das Falsche zu sagen, hier zu schreiben und zu tun.

      Eins wurde mir von zu Hause mitgegeben: wenn jemand anders ist/aussieht – nicht anmerken lassen. Einfach so weitermachen wie immer. Helfen, wenn er/sie Hilfe braucht. Natürlich sind es Menschen wie Du und ich, sehen halt nur anders aus. Hatten nicht so viel Glück wie wir ins gesellschaftlich akzeptierte Aussehen zu passen. Haben es schwerer, viel viel schwerer. Deswegen muss man es ihnen leichter machen. Das hat auch etwas mit Intelligenz zu tun, sehr viel sogar.

      Ich will auch offen gestehen: Als ich das erste Mal den Film „Der Elefantenmensch“ sah, habe ich in der Mitte abgebrochen. An der Stelle, bei der mir klar wurde, dass John Merrick nun von seinem Arzt & Retter zum ‚Vorzeigeobjekt‘ für Medizin und Gesellschaft wird. Jedenfalls dachte ich, dass der Film sich in diese Richtung entwickelt. Ich wollte das einfach nicht sehen, wie es weiter geht. Konnte es innerlich nicht ertragen, fand es fürchterlich und am schlimmsten, weil er sich ja nicht wehren konnte dagegen. Es war immer noch die bessere Alternative als auf der Straße zu verhungern oder zu Tode geprügelt zu werden. Mein Freund vermittelte mir dann, dass es nicht ganz so weitergeht, sondern die SAche einen anderen Dreh noch bekommt. Nach 20min Diskussionspause machten wir den Elefantenmenschen wieder an und schauten weiter. Ich war am Ende froh, als ich es durchgestanden hatte. Ehrlich. „Der Elefantenmensch“ hat mich emotional echt durchgeschüttelt. Das war eine Mischung aus Entsetzen über solch ein trauriges Schicksal, das auf der ganzen Ebene eigentlich nur schrecklich und hoffnungslos ist. Diese Krankheit und sein schlimmes Aussehen, die erbarmungslosen Menschen, die damalige Zeit – ach, einfach alles. Es ist schwer in Worte zu fassen. Jedenfalls hab ich ihn seitdem nicht noch einmal gesehen, obwohl es Lynchs bester Film ist in meinen Augen. Dafür muss ich mal einen starken Abend erwischen.

      Dennoch: eigentlich sollte jeder diesen Film einmal gesehen haben.

  4. Ich glaube der Reiz des Unbekannten, des Fremden ist es, der Machtstreben, Sadismus und Unterdrückung hier gern mal bedeckt…
    Es ist Unehrlichkeit-obwohl ganz offen (aus heutiger Sicht).
    Statt zu sagen: Wow das finde ich irgendwie fremd- darf ich mal anfassen/ er- nachspüren/ kennenlernen/ wahrnehmen,
    passen sich die Menschen der vermeintlich sicheren Norm an und unterstreichen das mit Ausgrenzung. Können aber ihr Interesse doch nicht gänzlich verbergen.

    Ganz ehrlich- ich glaube da kommt der Höhlenmensch durch, der vor einer Frucht steht und noch nicht genau weiß ob er sie nun essen kann oder nicht und was er jetzt so anstellt damit 😉

  5. Ein wirklich spannender und interessanter Artikel!! Dazu fällt mir der Film „Fell – ein imaginäres Portrait von Diane Arbus“ ein (in den Hauptrollen Robert Downey jr. und Nicole Kidman) – SEHR eindrucksvolle Bilder und SEHR sehenswert!!

    1. Danke Andreas, dass Du meinen Gedanken in Richtung „Gesellschaft“ weitergesponnen und die „Rolle“ bzw. das Schicksal der echten Freaks so gut in Worte gefasst hast. Die Toleranz ist heute größer, das sehe ich auch so. Keine Kuriositätenshows – eher die Bitte um Hilfe und Spenden (u.a. via YouTube und Medien). Gut so. Heute gibt es zwei Formen von Freaks – im Gegensatz zu früher. Zum Einen die wirklich tragischen Schicksale wie z.B. die des Treemans durch seine Hautkrankheit, die es übrigens wirklich gibt und die zur fiesen „Verborkung der Haut“ führt (Ich hab noch mal die Ärztin meines Vertrauens befragt). Zum anderen die „selbstgemachten Freaks“ wie The Lizardman (@Pooly: Ja, der ist mir in der Recherche für den ARtikel auch über den Weg gezüngelt) und Vampire-Woman oder „Zombie Boy“ Rick Genest. Diese verdienen mit ihrer selbstgewählten Abnormalität Geld und WOLLEN auffallen. Währenddessen die „echten Freaks“ keine Wahl haben/hatten. Mir ging es darum, auf diesen Unterschied aufmerksam zu machen.

      Die Faszination für das Andersartige ist natürlich auch heute vorhanden, das stimmt, liebes Schemenkabinett (von den Parodi-Zwillingen hatte ich noch nichts gehört – krass!). Ich nehme mich davon nicht aus. Aber wenn ich die „echten FReaks“ vs. die „selbstgemachten Freaks“ betrachte, kann ich letztere noch viel weniger ernst nehmen als so schon. Bei den einen ist es – auch heute noch – wahre (Über)Lebenskunst, bei den Anderen nur Ausdruck des eigenen Egos – aber für mich mit Mangel an Persönlichkeit/Charakter. BEi den einen ist es ein kurzer „Boah-Effekt“, bei den anderen echte Bewunderung. Nur weil sich jemand die KOpfhaut weiten oder die Zunge spalten lässt, hat er für mich noch keinen Charakter gezeigt. Aber es gehört viel Mut dazu, sein Schicksal/Aussehen etc. so anzunehmen, wie es naturgegeben ist und für sich das Beste daraus zu machen.

      @Susanne: Danke für den Filmtipp – ich habe gleich mal reingeschaut bei YouTube. Der sieht tatsächlich SEHR sehenswert aus. Und der Mann heißt auch noch „Lionel“…

  6. Cooler Artikel. „Der Elefantenmensch“ ist mir auch als erstes eingefallen, als ich die Überschrift gelesen habe.

    Kennst du „The Lizzardman“? Ist auch ein ziemlich bekannter Freak, der u.a. seine Zunge gespalten hat und sich als lebendes Kunstwerk bezeichnet.
    http://www.thelizardman.com

  7. Insgesamt hat die Toleranz gegenüber solchen außergewöhnlichen Menschen seit damals sicherlich schon zugenommen. Früher hatten anscheinend nicht einmal Ärzte Respekt vor ihnen, wie zum Beispiel der Fall von Ritta und Christina Parodi zeigt, einem siamesischen Zwillingspaar, das Anfang des 19. Jahrhunderts zur Welt kam. Durch die ständigen Untersuchungen der Ärzte in dem unbeheizten Haus der bettelarmen Familie unterkühlten die kleinen Mädchen, sodass Ritta eine Bronchitis bekam und verstarb. Bereits wenige Minuten später folgte Christina ihrer Schwester in den Tod. Als sich die Ärzte kurze Zeit später bei der öffentlichen Sektion um die Leichname der Kinder scharten, warf man ihnen vor, den Tod der kleinen Kinder bewusst in Kauf genommen zu haben.
    Damals überwog wohl mehr die Neugierde, während man heute eher versucht, solchen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen. Aber das hemmungslose Anstarren wird sicher nie aufhören und ist wohl in einer generellen Faszination der Menschen für „Andersartigkeit“ begründet. Dank einschlägiger Sendungen und entsprechender Internetvideos braucht man dafür heute nicht mal mehr in „Freak Shows“ zu gehen.

  8. Interessanter Artikel, gut geschrieben! Meiner Meinung nach verwischen sowieso in unserer Gesellschaft die Grenzen von normal und unnormal. Was als „normal“ gilt, ist nicht wissenschaftlich festgelegt, sondern wird vom gesellschaftlichen Diskurs bestimmt. Da in unserer Konsumgesellschaft mit dem materiellen Wohlstand das seelische Glück immer mehr abzunehmen scheint, wird es für viele Menschen aber immer mehr zum Bedürfnis, ihre Individualität zu bewahren. Daher all die ganze Trends mit riesigen Ohrlöchern etc. Man muss nur einmal sehen, wie gesellschaftskonform Tattoos mitlerweile sind. Alles gipfelt im extrem, man sehe sich einfach mal die Inhalte in den Medien an. Die Darstellung von Gewalt, Sex usw. wird immer expliziter und auch übertriebener. Der Konsument soll ja nicht gelangweilt sein. Bei diesen verwischten Grenzen ermöglichen dann aber sog. Freaks doch wieder einen gesellschaftlichen Konsens, das das auf jeden Fall unnormal sein muss. So denke ich jedenfalls über das Ganze.

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